Infinity (German Edition)
… die ist bunt und aufregend … Am liebsten hätte sie Augen und Ohren rund um den Kopf. Da! Das flauschige Tier! Die rosa Nase. Die schwarzen Kugelaugen. Der lustige lange Wuschelschwanz. Sie erwischt es nie. Aber der Junge hält es für sie fest. Er lacht immer, wenn sie mit ihren dicken Händen danach patscht. Und fängt es wieder ein, wenn es davonspringt.
Sie mag das, wie es an ihrem Gesicht schnuppert. Das kitzelt so schön.
Der Junge ist schon groß. Und sehr dünn. Er steht an der Tür, wenn sie kommt. Immer. Ein bisschen fürchtet sie sich. Weil seine Augen so durch einen hindurchschauen können. Aber seine Bilder sind schön, die er für sie malt. Und die Spiele, die er mit ihr macht. Die liebt sie. Auf dem Rücken reiten. Fangen. Durchkitzeln. Manchmal pikst er sie. Aber sie ist tapfer. Sie weint nie.
Du bist meine Schönste, sagt er dann. Und seine Hände streichen über ihren Kopf, bis sie ganz müde wird …
Regelmäßiges Rattern drängte sich zwischen die Bilder in ihrem Kopf. Das Geräusch überlagerte das leise Murmeln, das sie einhüllte wie ein monotoner Klangteppich. Die Hände, die ihr durch die Haare strichen, wurden Wirklichkeit und sie spürte rauen Stoff unter ihrer Wange. Sie versuchte, sich auf den Rücken zu drehen. Ein heißer Schmerz ließ sie zusammenzucken. Sie nahm den weißen Verband wahr, der professionell um ihren Oberarm gewickelt war. Ihre Jacke diente als Decke, ihren Rucksack hat ihr jemand als Kissen unter den Kopf geschoben. Als sie sich bewegte, verstummte das leise Gespräch und die Gesichter von Lucie und Alen beugten sich über sie.
»Hey, Frau Lang-Schläfer, schön, dass du wieder wach bist!«
»Was ist passiert? Wo bin ich?« Lucies beißender Humor holte Klara schnell in die Realität zurück. »Wohin fahren wir? Ist das ein Zug? Wie bin ich überhaupt hierhergekommen?«
»Du bist schwerer, als du ausschaust, weißt du das?« Alen grinste sie an, bevor er seinen Kopf ein wenig hob. »Aber dank seiner Hilfe haben wir es geschafft.« Klara folgte seinem Blick und zuckte wie unter einem Stromschlag zusammen. In diesem Moment fiel der fehlende Puzzlestein an die letzte weiße Stelle des Bildes, das sie seit so vielen Jahren begleitet hatte.
»Lukas. Du bist der Junge, der auf mich gewartet hat«, wisperte sie tonlos und richtete sich trotz der Schmerzen in ihrem Arm auf, um ihm ins Gesicht sehen zu können. »Ich hab so oft von dir geträumt. Aber heute erst habe ich dich gesehen.«
»Was? Wo ist da ein Junge? Hat die Gute doch was abgekriegt? Wovon spricht sie? Kann mich bitte mal jemand aufklären?« Lucie stieß Alen an, der die Schultern hob und zwischen Klara und dem blassen jungen Mann hin und her schaute, der bisher noch kein Wort gesprochen hatte.
Klara richtete sich gerade auf und legte eine Hand auf den Arm ihres stummen Begleiters. »Darf ich vorstellen: Das hier ist Lukas Neumeier …«
Alen und Lucie schnappten beide nach Luft.
Klara hob die Hand, bevor einer von ihnen etwas sagen konnte. »Ich denke, es ist das Beste, wenn wir ihn reden lassen.« Sie drehte sich zu ihm und suchte seinen Blick, der unruhig flackerte. »Du bist es uns schuldig. Wir haben es verdient, zu erfahren, was du und dein Vater mit uns gemacht habt.« Sie spürte seine Anspannung. Die Hände, die er auf die Oberschenkel gepresst hielt, zitterten und seine Finger krampften sich um die Knie. Klara legte ihre Hände auf seine und schaute ihm ins Gesicht. Über seine Augen tauchte sie in seine Welt ein und sah die Bilder zu den Worten, die erst stockend, bald aber mit immer größerer Festigkeit aus ihm herausströmten.
»Meine Mutter … sie ist bei meiner Geburt gestorben … Für meinen Vater bedeutete ihr Tod die größte Niederlage seines Lebens. Er hat sie nicht retten können, obwohl er der beste Arzt ist, den ich kenne. Ich glaube, insgeheim hat er mich deswegen nicht … nicht richtig lieben können, auch wenn er das abstreiten würde, wenn er jetzt hier wäre … Ich wollte wiedergutmachen … was ich ihm gestohlen habe. Seit ich denken kann, wollte ich so sein wie er.«
Klara sah den kleinen Jungen aus ihren Träumen, wie er mit seinen durchsichtigen Augen nach ihr Ausschau hielt. Ihr wurde schmerzlich bewusst, was ihnen die Farbe genommen hatte. Scheu drückte sie seine Hand.
»Mein Vater ist ein Genie. Als erstem Wissenschaftler der Welt ist es ihm gelungen, die verlustfreie Replikation einer Mäusezelle herbeizuführen.«
»Davon habe ich gelesen! Das war
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