Infinity (German Edition)
der Inhalt seines Aufsatzes, über den wir auf seinen Namen gestoßen sind.« Alen rutschte an die Vorderkante der Bank und fixierte sein Gegenüber mit glänzenden Augen.
Lucie faltete die Hände und hob die Fingerspitzen an die Lippen. »Und dann habt ihr das Gleiche beim Menschen ausprobiert …?« Sie biss die Zähne zusammen, dass es knirschte. »… bei uns?« Ihre Stimme kippte.
Lukas Neumeier nickte nur. Es war so still im Abteil, dass das Rattern der Räder wie Maschinengewehrsalven klang.
»Wir haben euch nichts Böses getan. Wir haben euch das ewige Leben geschenkt.« Seine Stimme hatte plötzlich einen trotzigen Unterton. Das vorgeschobene Kinn gab seinem Gesicht einen kämpferischen Ausdruck.
»Aber ihr habt uns nicht danach gefragt, ob wir das auch wollen … ewig leben …« Alen sprach leise und ohne Vorwurf. Für Klara klang es eher so, als dachte er nur laut nach.
»Und diese furchtbaren Aggressionen? Sind das Nebenwirkungen, mit denen ihr nicht gerechnet habt? Oder seid ihr dieses Risiko einfach mal so eingegangen?« Lucie klang wesentlich aggressiver. Klara merkte ihr an, dass ihr erst Stück für Stück bewusst wurde, was mit ihr geschehen war.
»Wie konntet ihr so sicher sein, dass es gelingen würde?« Klara versuchte sich vorzustellen, was in den Köpfen der beiden Wissenschaftler vorgegangen sein musste. Was durfte man riskieren, um Erfolg zu haben? Was konnte man mit Sicherheit voraussagen? Wenn sie die Tatsache ausblendete, dass sie selbst eines der Versuchskaninchen war, konnte sie sogar nachvollziehen, was die beiden vorangetrieben hatte. Die Idee war reizvoll und das mögliche Ergebnis eine Sensation.
»Warum wir so sicher waren, dass wir das Leben tatsächlich entscheidend verlängern können?« Er öffnete seinen Mantel und griff in die Innentasche. Als seine Hand wieder zum Vorschein kam, umschloss sie zärtlich ein weiches Fellbündel. Gleich darauf tauchten zwei große Ohren, eine winzige Schnauze und schwarze Knopfaugen zwischen den Fingern auf. »Das ist der lebende Beweis, dass unsere Forschungsergebnisse zum Ziel führen. Das hier ist Methusalem.«
»Die Maus, an der Ihr Vater die ersten Versuche gemacht hat? Meine Güte …« Alen schluckte. Er streckte die Hand aus, um das Tier zu berühren. Als könnte er nicht glauben, was er sah. »Sie muss jetzt an die zwanzig Jahre alt sein … das gibt’s doch gar nicht … das ist … ein Wunder …«
»Aber warum habt ihr dann eure Versuchspersonen eine nach der anderen … aus dem Verkehr gezogen?« Klara dachte an Richi und Jonas und den Überfall auf Alen. Ganz abgesehen von den anderen, die irgendwo in geschlossenen Anstalten verschwunden waren und von denen sie nicht wusste, wie es ihnen ging.
Sein Blick irrte ziellos durch die Gegend. Er blinzelte und schüttelte den Kopf. »Das waren wir nicht. Weder mein Vater noch ich haben das veranlasst …«
»… und die Explosion auf dem Gelände? Da wollte uns doch jemand aus dem Weg räumen? Oder etwa nicht?« Lucie ballte die Hände zu Fäusten. Angriffslustig drückte sie die Brust vor.
»Ich … ich musste doch weitermachen! Wir waren so kurz vor dem Ziel …«
»… und die Leute von SanaLife wollten wohl endlich was von ihrer Kohle sehen, die sie in eure Forschung gepulvert haben, was?« An Lucies Kiefermuskeln war zu erkennen, dass sie langsam aber sicher in Rage geriet. »Da waren ein paar Ausfälle in Kauf zu nehmen, nicht wahr? Wenn diese fehlgeratenen Prototypen doch das hübsche Ergebnis verunstalteten … Oder sehe ich das falsch?«
»Was hättest du denn an meiner Stelle getan?« Er starrte sie so lange an, bis sie die Augen niederschlug. »Sie haben meinen Vater …«
Seine Stimme klang brüchig und Klara konnte spüren, wie zerrissen er sich fühlen musste. »Aber wieso hast du uns dann vorhin auf der Flucht geholfen? Du musst doch jetzt damit rechnen, dass sie sich an deinem Vater rächen werden?« Sie flüsterte nur, weil ihr der Gedanke ungeheuerlich vorkam. Was hätte sie getan, wenn sie ihre Mutter in den Händen von skrupellosen Verbrechern wüsste?
»Mein Vater ist … meine Familie. Ich habe früher immer gedacht, dass ich kein Recht darauf habe zu leben. Wo doch meinetwegen der Mensch gestorben war, den er so sehr geliebt hat. So sehr … das habe ich mir nie vorstellen können. Bis zu dem Moment, als ich …« Seine Lippen zitterten. Stirn und Wangen überzogen sich mit hektischen Flecken. Er starrte auf seine Hände, die er zwischen die Knie
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