Infiziert
Küchentisch und trank ruhig aus der Flasche Wild Turkey, die er als Waffe gegen sein einziges Kind benutzt hatte.
Die Flasche trug einen klebrigen Blutfleck, halb auf dem Etikett, halb auf dem Glas.
Jacob Dawsey sah seinen Sohn an. Seine kalten Augen fixierten. »Wie geht’s dir, Junge?«
Perry setzte sich langsam auf. Sein Kopf hämmerte so heftig, dass er kaum sehen konnte.
»Irgendwann, Daddy«, murmelte Perry, »irgendwann werde ich dich umbringen.«
Jacob Dawsey nahm noch einen Schluck, ohne seinen Blick von seinem Sohn abzuwenden. Er stellte die blutverschmierte Flasche auf den Tisch und wischte sich den Mund mit dem Rücken seiner schmutzigen Hand ab. »Hauptsache, du vergisst nicht, dass es eine gewalttätige Welt ist, mein Sohn, und dass nur die Starken überleben. Ich bereite dich auf diese Welt vor, das ist alles. Irgendwann wirst du mir dafür danken. Irgendwann wirst du es verstehen.«
Perry schüttelte den Kopf, versuchte, wieder klar zu denken, und stellte fest, dass er auf dem Fußboden seines Badezimmers lag. Es war nicht mehr neun Jahre früher. Er war nicht mehr in Cheboygan. Daddy war tot. Dieses Kapitel seines Lebens war abgeschlossen, doch es ging ihm noch immer nicht besser.
Sein Gesicht auf dem Linoleum fühlte sich verklebt und matschig an. Der Geruch von Galle stieg ihm in die Nase. Er brauchte nicht lange, um herauszufinden, warum. Offensichtlich hatte sein rebellierender Magen etwas entdeckt, das er herauswürgen konnte, während Perry ohnmächtig war.
Ein leichtes Schaudern kitzelte seine Seele. Zum Glück lag er mit dem Gesicht nach unten, sonst wäre er vielleicht an seinem eigenen Erbrochenen erstickt wie Bon Scott, der erste Sänger von AC/DC. Angeblich war Bon auf dem Rücksitz eines schwarzen Cadillac ohnmächtig geworden, völlig weggetreten von zu viel Whiskey und einigen verbotenen Substanzen. Er war anschließend in seiner eigenen Kotze ertrunken.
Perry wischte sich das Erbrochene aus dem Gesicht. Auch in seinem Haar klebte etwas davon. Sein Magen fühlte sich erschöpft an, schien aber ansonsten in Ordnung. Offensichtlich war die kleine Party, bei der ihm alles wieder hochkam,
zu Ende. Der schreckliche Geruch kam größtenteils aus der Toilette. Perry setzte sich mühsam auf und betätigte die Spülung.
Verdammt, wie war das nur passiert? Vage, verschwommene Bilder huschten durch sein Gehirn wie Motten um eine Straßenlaterne. Ein rhythmisch hämmernder Schmerz erfüllte sein linkes Bein.
Sich auf die Ablage stützend, drückte er sich langsam nach oben, bis er wieder auf seinen Füßen stand. Sein ganzer Körper fühlte sich so schwach an, dass er sich fragte, wie lange er bewusstlos gewesen war. Bei halb geschlossener Badezimmertür konnte er nicht erkennen, wie spät es war, denn das Sonnenlicht erreichte das Ende des Flurs nicht.
Sein ganzes Gewicht gegen das Waschbecken lehnend, betrachtete er sich im Spiegel. »Du siehst beschissen aus« war nicht die richtige Beschreibung. Ein grün-gelber Film Erbrochenes klebte an der linken Seite seines Gesichts und pappte die Haare an seine Wange. Eine blauschwarze Beule ragte aus seiner Stirn wie bei einem Einhorn, bei dem das Horn gerade zu wachsen beginnt. Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren so ausgeprägt, dass sie fast lächerlich wirkten – als sei er ein zu stark geschminkter Statist aus Die Nacht der lebenden Toten.
Doch was ihm wirklich auffiel, war nicht sein Gesicht, sondern der getrocknete Schleim, mit dem der Spiegel überzogen war. Kleine Rinnsale einer seltsamen Flüssigkeit hatten sich über das Glas ergossen und waren schließlich zu schwarzen Streifen getrocknet. Krümelige graue Materie klebte wie eine alte Paste oder ein zerquetschtes Insekt auf dem Spiegel.
Nur dass dies hier kein Insekt war, wie Perry sehr wohl
verstand. Erinnerungen an das Chaos auf dem Spiegel schossen durch sein verwirrtes, von Schmerzen benebeltes Gehirn. Er wusste nicht, um was es sich handelte; er wusste nur, dass dieses Etwas böse war. Das Ding war der Tod, etwas, vor dem man große Angst haben musste. Wenigstens war es etwas gewesen, vor dem man Angst haben musste.
Er brauchte etwas Paracetamol, und er musste sich den ganzen Schmutz vom Körper waschen. Doch sein Kopf fing bereits an zu hämmern, als er sich vorbeugte und die Dusche einschaltete. Er konnte sich nicht daran erinnern, wann er zum letzten Mal solche Schmerzen gehabt hatte – oder ob er überhaupt jemals solche Schmerzen gehabt hatte.
»Zeit, um
Weitere Kostenlose Bücher