Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
natürlich«, stimmte Zane ihm verärgert zu.
»Natürlich haben Sie einen Vorwand gefunden, um einen Kontakt zu mir herzustellen, damit er nicht
mißtrauisch wird.«
So hatte Zane die Sache noch gar nicht gesehen. Aber er wollte tatsächlich über etwas anderes
reden.
»Der Fegefeuercomputer hat Ihr Symbol auf seinem Monitor aufblitzen lassen, als ich ihn über den
Status von Luna Kaftan befragte.«
»Ein hochinteressanter Fall«, sagte Chronos nach kurzer Pause, als wollte er sich zunächst alle
Einzelheiten ins Gedächtnis zurückrufen. »Die Schicksalsgöttin hat mich darauf aufmerksam
gemacht, denn ihr sind die entscheidenden Schicksalsfäden aufgefallen. In etwa zwanzig Jahren
wird Luna Kaftan eine herausragende Rolle...«
»Aber sie wird doch noch binnen Monatsfrist sterben!« wandte Zane ein.
»Das auch, ja«, pflichtete Chronos ihm bei.
»Wie kann sie dann...?«
»Natürlich ist die Geschichte veränderlich. Wenn sie überlebt, geht sie in die Politik...«
»Aber sie ist doch eine Künstlerin!«
»Winston Churchill war auch ein Künstler, und Adolf Hitler wollte einer werden. Das künstlerische
Temperament ist nicht unbedingt ein Hindernis auf dem Weg zum politischen Erfolg.«
Zane dachte an Churchill und Hitler, zwei Anführer der verfeindeten Alliierten und Achsenmächte
im Zweiten Weltkrieg, als sowohl die Magie wie auch die Naturwissenschaft amokgelaufen waren, bis
schließlich alles in der ersten Kernexplosion geendet hatte. Diese Assoziation gefiel ihm gar
nicht. Die Kernspaltung konnte das gesamte Leben auslöschen!
»Wenn sie also überleben sollte... und diese Möglichkeit gibt es anscheinend... dann geht sie in
die Politik und...?«
»Und spielt eine herausragende Rolle dabei, den Namenlosen daran zu hindern, seine
allerschlimmsten Vasallen ins höchste politische Amt der Vereinigten Staaten von Amerika zu
hieven.«
»Warum will... diese Wesenheit... politische Macht?« fragte Zane verwirrt. »Sein Reich ist doch
das Unten.«
»Und das Reich der anderen Wesenheit ist das Oben. Keiner von beiden beherrscht das Schlachtfeld
der lebenden Welt allein, doch jeder zieht Kraft daraus. Wenn wir es einmal mit Geld vergleichen,
so stellt die Welt das Kapital dar, während die Seelen, die sie verlassen, die Zinsen sind. Die
Ewigen teilen die Zinsen untereinander auf, doch hatte jeder der beiden auch gerne einen Anteil
am Grundkapital. Es ist von entscheidender Bedeutung, wie viele Seelen jeder bekommt. Im
Augenblick hat der Zenith die Oberhand, doch sollten sich die Lebenden auf grundlegende Weise
umorientieren, und sollte ein Massenexodus in die Ewigkeit erfolgen, so könnte dies das
Gleichgewicht der Macht zugunsten des Nadir verschieben. Dann...«
»Ich glaube, darüber denke ich lieber nicht nach«, sagte Zane schaudernd. »Und Sie sagen, daß
Luna dies verhindern wird?«
»Ja... sofern sie am Leben bleibt.«
»Jetzt verstehe ich auch endlich, warum ein gewisses Wesen sie unbedingt sterben lassen
will!«
»So sieht es wohl aus.«
Inzwischen hatte Mortis das brennende Gebäude in New York erreicht, das nur noch eine qualmende
Ruine war. Die Feuerwehr war zu spät gekommen, wie es für diesen Teil der Stadt, wo nur wenig
Steuern gezahlt wurden, typisch war. Mit Hilfe eines Erstickungszaubers hatten die Männer das
Feuer gezähmt, und nun durchsuchten sie die Überreste des Gebäudes nach Leichen. Die Überlebenden
standen mit weitgeöffneten Augen, noch halb im Schock, daneben. Es war eine brutale Szene.
Chronos hob seine Sanduhr. Sofort erstarrte die Zeit, wie damals, als Zane auf den mittleren
Knopf seiner Todesuhr gedrückt hatte. Der emporsteigende Qualm hing plötzlich fest, und die
Menschen bildeten mit einemmal eine Art lebendes Gemälde, in dem sie wie Statuen umherstanden.
Nur Chronos, Zane und Mortis konnten sich noch bewegen.
Dann rieselte der feine Sand plötzlich aus dem unteren Teil der Uhr in den oberen. Es war nicht,
als hätte man das Glas umgedreht, ein Antigravfeld aktiviert oder einen Levitationszauber
verhängt; es war im wortwörtlichen Sinne eine Umkehr der Zeit, als der Sand aus dem unteren
Haufen emporstieg, sich durch den engen Hals des Glases preßte und den oberen Sand in einem
gleichmäßigen Muster empordrückte. Zane war fasziniert.
Der Sandstrom beschleunigte sich und bewegte sich schneller, als es auf natürliche Weise möglich
gewesen wäre.
Deutlich sichtbar füllte sich der obere Teil der Sanduhr. Doch was Zanes eigentliche
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