Inkarnationen 01 - Reiter auf dem schwarzen Pferd - V3
zwanzig Jahren einen Knotenpunkt erkenne, eine schicksalsentscheidende Wendemarke der
menschlichen Rasse. Indem ich diese Situation nutze, kann ich den Lauf der menschlichen
Geschichte verändern. Ich werde dazu in der Lage sein, eine gewaltige Menge Böses mit einem
Minimum an Aufwand auszumerzen. Leider gibt es eine Person, die sich, wohlmeinend zwar, aber
irregeleitet, dieser Möglichkeit widersetzt. Es schmerzt mich zutiefst, diese Person, die von
ihrem Standpunkt aus betrachtet völlig im Recht ist, wie es ihrem beschränkten Verstand eben
entspricht, hart angehen zu müssen; doch die Gerechtigkeit der vielen muß Vorrang haben vor der
Gerechtigkeit des einzelnen.
Diese Gleichung mag zwar im Einzelfall recht grausam erscheinen und in bestimmten Fällen sogar
ungerecht - doch in einem größeren Zusammenhang betrachtet, kehren sich die Werte eben um. Das
ist die Wirklichkeit, der zu entsprechen und nachzukommen meine ewige Verpflichtung ist.«
Und diese Person war Luna. Wäre es nicht um sie gegangen, Zane hätte sich vielleicht überreden
lassen.
»Vater der Lüge, ich glaube Ihnen nicht.«
Dennoch wirkte Satan keineswegs beleidigt. »Sie haben recht, vorsichtig zu sein. Mir gefällt Ihr
unabhängiges Denken. Ich bin davon überzeugt, daß ein Mensch von Ihrer Perspektive schon zur
richtigen Schlußfolgerung finden wird.«
»Ich bezweifle, daß Sie mich davon überzeugen können, die Frau, die ich liebe, zur Unzeit in die
Ewigkeit zu schicken.«
Satan zuckte die Schultern. »Termine sind oft nur eine Frage der Praktikabilität, Tod. Fühlen Sie
sich etwa privilegiert, weil Ihre eigene Lage auf zynische Weise von anderen manipuliert wurde,
eingeschlossen den Zeitpunkt und die Art Ihres Abschieds von Ihrem ursprünglichen Leben?«
Der Böse ging immer härter ran!
»Darüber bin ich nicht gerade froh«, gab Zane zu, weil er wußte, daß Ehrlichkeit die beste
Politik war. Selbst wenn er gewollt hätte, so hätte er es mit Satans Geschicklichkeit im Lügen
wohl kaum aufnehmen können. Jede Lüge, selbst eine noch so harmlose Selbsttäuschung, würde ihn
Satan in die Hände spielen.
»Aber ich glaube, daß es in diesem Fall wirklich notwendig war...« Er hielt inne, als ihm die
Schlußfolgerungen des Gesagten klar wurden. Das Wohlergehen des Einzelnen, das zugunsten der
Vielen geopfert werden mußte!
»Die Umstände machen uns alle zu Marionetten«, sagte Satan mitfühlend. »In Ihrem Amt leisten Sie
ausgezeichnete Arbeit; das kann ich Ihnen ganz ehrlich sagen, auch wenn Gott das vielleicht nicht
täte.
Es ist schon Jahrzehnte, vielleicht Jahrhunderte her, daß ein Tod das Gewissen über die
Bequemlichkeit gestellt hat, und diese Rolle verlangt schon lange nach einer
Neuinterpretation.«
Zane versuchte, seiner Freude über diese Schmeichelei Herr zu werden, weil er ihrer Quelle
mißtraute. »Ich möchte meinen, daß mich das Ihnen sehr schnell näher bringt.«
»Hohoho!« lachte Satan wie ein fröhlicher Weihnachtsmann.
»Wenn das keine Ironie ist! Die Regeln sind so aufgebaut, daß jene wenigen, die das Richtige tun,
dafür mit ihrer Seele büßen müssen. Wenn er das wüßte, würde Gott grüne Flammen speien! Aber,
ganz ehrlich gesagt - er achtet ja gar nicht darauf.«
Diese offene Herabsetzung Gottes erschütterte Zane etwas.
Doch was hätte er von Gottes Erzfeind auch anderes erwarten sollen? »Wollen Sie damit sagen, daß
Sie in der Hölle gute Seelen bekommen?« fragte er erstaunt.
»Ja, und gute an den Himmel verliere«, stimmte Satan ihm zu und schlug sich dabei auf die Knie.
»Das bringt die Arbeit manchmal ganz schön durcheinander. Aber so ist das eben mit Bürokratien
und verknöcherten Vorschriften, einige dieser armen Seelen rutschen immer durchs Netz.«
Zane mußte sich selbst daran erinnern, daß er mit dem Vater der Lüge sprach. Vielleicht war alles
Gesagte gelogen, vielleicht gar nichts, vielleicht aber auch nur ein Teil davon. Es war
gefährlich, sich mit Satan überhaupt nur zu unterhalten, denn seine Redegewandtheit ließ die
Grenzen zwischen Gut und Böse schnell verschwimmen.
»Ich sehe, daß Sie immer noch zweifeln«, sagte Satan und beugte sich mit scheinbarer Ehrlichkeit
in seiner Miene vor.
»Das ist durchaus verständlich. Ihre Kollegen haben Sie in eine peinliche Lage manövriert. Sie
haben Probleme bei der Ausübung ihres Amtes und werden von Regeln eingeschränkt, die keinen Bezug
mehr zur Gegenwart haben. Mir geht es in meinem Amt nicht anders.
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