Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
sie vielmehr als
Nahrung für wunderschöne Vögel dienten, und daß sie nicht einmal Menschen stachen, wenn diese
sich vernünftigerweise durch insektenabweisende Stoffe oder einen Zauber schützten. Dann sprach
er auch von den anderen Aspekten der Feuchtgebiete, von den Fischen und Amphibien, den Füchsen
und dem Rotwild, den Bäumen, die nur hier wachsen konnten und nirgendwo anders, er sprach von der
besonderen interaktiven Magie, die diese Lebewesen entwickelt hatten, damit alles im
Gleichgewicht blieb. »Aus diesem Gebiet fließt nicht einmal verseuchtes Wasser ab«, schloß er und
konnte es mit einer Studie beweisen, die das College durchgeführt hatte. »Es gibt keine Erosion,
keine gefährlichen Überflutungen. Die Feuchtgebiete halten das Wasser rein und im Zaum, damit
wir, die in ihrer Nähe wohnen, im Frieden mit der Natur leben können. Es gibt ohnehin viel zu
wenige dieser natürlichen Paradiese mehr, wie können wir da nur eine weitere stinkende Stadt
daraufsetzen!« Und seine Beredsamkeit war so groß, daß die Zuhörer im Gerichtssaal ihm Applaus
zollten. Früher hatte sich kaum einer wirklich für die Feuchtgebiete interessiert, nun ging es
alle an.
Doch das Grundstücksrecht war auf der Seite der Baufirma. Mit offenem Bedauern entschied der
Richter zu ihren Gunsten. Nun würde es den Bulldozern gestattet sein, im Sumpf ihre Verwüstungen
anzurichten.
»Es tut mir ja so leid«, sagte Niobe, doch Cedric zuckte nur die Schultern. »Wir werden sie
aufhalten«, sagte er grimmig. Doch er verriet nicht, wie.
Eines nebligen Morgens küßte Cedric sie mit ganz besonderer Zärtlichkeit und nahm Junior aus
seiner Wiege. »Ich gehe mit ihm hinunter zur Wassereiche«, sagte er.
Sie war erfreut, gleichzeitig, aber auch irgendwie beunruhigt.
Seine letzten Worte hatten einen unheilvollen Klang: »Wir werden dort sein.« Und doch waren es
unschuldige Worte, und die Wassereiche war der sicherste Ort für das Baby, denn die Hamadryade
war inzwischen zu einer regelrechten Babysitterin geworden. Tatsächlich hatte die Nymphe damit
begonnen, dem Säugling etwas Naturmagie beizubringen und wenn es irgend etwas gab, das noch
seltener war als die Gesellschaft einer Dryade, so war es die Teilhabe an ihrer Magie. Junior,
der noch zu jung war, um gehen oder reden zu können, schien dennoch alles zu begreifen; es hatte
beinahe den Anschein, als könnte er selbst zaubern. Warum sollte Niobe sich da Sorgen machen? Sie
wußte, daß sie töricht war.
Sie arbeitete am Webstuhl. In ihrer Phantasie formte sich ein Abbild der Wassereiche, während
ihre Hände sich weitgehend selbständig hin und her bewegten, begann sie zu tagträumen. Das Bild
des Baums verschwand im Nebel, statt dessen erschien wieder das saturnische Antlitz. »Heute komme
ich dich holen«, sagte es und grinste bösartig. »Mein Bote ist schon unterwegs, und niemand kann
ihn aufhalten. Dein Schicksal ist besiegelt, Herrin des Fadens!«
Niobe stieß einen Schrei aus. Das Bild verschwand, und vor sich erblickte sie nur den in der
Entstehung befindlichen Webteppich. Sie zitterte vor Schreck. Was hatte das zu bedeuten? Dann
hörte sie einen Schuß. Sie sprang auf. Es war ein Gewehr im Sumpf und dort war Cedric mit Junior.
Er hatte kein Gewehr!
Voller Panik stürzte sie hinaus und rannte den gewundenen Pfad zu der Eiche entlang. Als sie sich
ihr näherte, hörte sie aus dem Baum einen matten Schrei. Es war die Dryade, die von einem Ast
herabhing und so laut schrie, wie es ihre schwachen Leibeskräfte zuließen. Unter ihr lag
umgestürzt die Tragtasche.
»Junior!« schrie Niobe, und ihr Entsetzen wurde immer größer. Stolpernd rannte sie zu dem Baum
und packte die Tasche.
Junior lag darin, sein Körper war schmutzverschmiert, und nun brüllte er kräftig. Doch er schien
unverletzt zu sein. Er war umgestürzt, und das hatte ihn erschreckt.
Sie blickte zu der Dryade empor. Nein, natürlich hatte diese nicht versucht, dem Kind etwas
anzutun! Tatsächlich schrie die Nymphe noch immer und wies mit einer winzigen Hand zu der dunklen
unteren Seite, wo die Dunkelheit des Sumpfs am größten war.
Niobe folgte dem Finger mit ihrem Blick und sah Cedrics Körper zwischen den Sträuchern liegen.
Plötzlich bekam ihre schaurige Vorahnung einen neuen Sinn. Nicht ihr Kind - ihr Mann!
Sie rannte zu ihm. Er lag mit dem Gesicht nach unten. Aus einer Bauchwunde strömte das Blut
hervor. Man hatte auf ihn geschossen! Er war bewußtlos, doch sein Herz
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