Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
alles brannte. Dann wurde es stärker, seine plötzliche Hitze begann sie zu
peinigen. Nun ging auch das Segel in Flammen auf und wurde zu einer lodernden Säule.
Jetzt war die Zeit zu springen, bevor das Feuer sie eingekreist hatte. Die Versuchung war groß.
Doch dann dachte sie an Cedric, wie er schwerkrank im Klinikbett lag, und ihre Entschiedenheit
wuchs wieder. Sie blieb stehen, hielt die Luft an und schritt direkt in den Brand hinein.
Cedric! Cedric! dachte sie, als die Flamme sie umhüllte. Ich liebe dich.
Ihr Kleid fing Feuer, ihr Haar brannte, dennoch tat sie einen weiteren Schritt und bereitete sich
innerlich auf den Schmerz vor, von dem sie wußte, daß er nun kommen würde.
Er kam auch. Ihre ganze Welt löste sich in Flammen auf. Sie atmete sie ein, das Feuer war in
ihrem Inneren, sengte ihre Lungen und ihr Herz. Der Schmerz war tief und heftig, doch sie ertrug
ihn und weigerte sich, zusammenzubrechen oder auch nur zu schreien. Tod, ich komme zu
dir!
Nun bestand das Boot nur noch aus Flammen. Niobe stand darin, mit brennendem Fleisch, und wartete
auf den Tod.
Eine Gestalt erschien. Ein großer Hengst galoppierte über die Wasseroberfläche und trug einen
Reiter, der in einen Umhang gehüllt war und die Kapuze über den Kopf gezogen hatte. Neben dem
Boot blieb das Pferd stehen, mitten auf dem See. Der Mann sprang ab und holte eine Sense hervor.
Er mähte die Flammen wie hohes Gras, und als diese von ihren Wurzeln abgeschnitten wurden, fielen
sie seitwärts herab.
Der Tod war gekommen.
Thanatos blieb neben ihr stehen und streckte die Skeletthand hervor. Niobe nahm sie und spürte
das kalte Gebein seiner Finger.
Mit einemmal ließ der Schmerz des Feuers nach. Thanatos führte sie durch die mit der Sichel
geschlagene Schneise zu seinem dunklen Pferd und hievte sie in den Sattel. Dann saß er hinter ihr
auf. Das Pferd sprang in die verbliebene Rauchsäule und durch sie hindurch, dem Himmel
entgegen.
Schon bald galoppierte der Hengst durch die Wolken, und seine Hufe ließen kleine Nebelschwaden
hinter sich. Dann gelangten sie hoch oben in eine Landschaft, wo das Gras grün war und die Sonne
sehr schön warm schien. Vor ihnen befand sich ein Haus. Sie ritten darauf zu, saßen ab, und
Thanatos führte sie hinein.
Eine mütterliche Dienstmagd eilte herbei. »Sie haben eine Sterbliche mitgebracht!« rief sie
erstaunt und vielleicht sogar etwas empört.
»Sorgen Sie dafür, daß sie sich erholt«, befahl Thanatos mißmutig. »Sie gehört nicht zu
mir.«
Als Thanatos sie nicht mehr berührte, spürte Niobe erneut den Schmerz, doch das Dienstmädchen
eilte schon mit der Salbe herbei. Niobes Haut war verkohlt, doch sobald die Salbe sie berührte,
erneuerte sich das Fleisch sofort. Die Magd bestrich Niobes ganzen Körper und hieß sie die Dämpfe
einatmen. Schließlich war der Schmerz gänzlich verschwunden.
Wohlbehalten und nackt stand Niobe da.
»Meine Liebe, Sie sind aber schön!« rief die Magd und sprühte etwas auf das versengte Haar.
Dieses wuchs sofort wieder nach, bis es seine frühere goldene Pracht aufwies.
»Warum will ein solches Wesen wie Sie Selbstmord begehen?«
»Ich liebe ihn«, wiederholte Niobe.
»Ah, die Liebe«, hauchte die Magd verständnisvoll.
Sie brachte einen Bademantel und Pantoffeln herbei.
Offensichtlich konnte die Salbe Niobes verbrannte Kleider nicht heilen. »Thanatos erwartet Sie«,
sagte sie und führte Niobe in ein Wohnzimmer.
Der Tod Thanatos erwartete sie tatsächlich. Er war wie ein strenger Vater, trotz seines
Totenschädelgesichts und seiner skeletthaften Hände. »Junge Frau, Sie haben etwas sehr Kühnes und
Törichtes getan«, sagte er tadelnd. »Sie standen nicht auf meiner Liste. Ihretwegen mußte ich
einen Notbesuch machen.«
»Es... es war für mich die einzige Möglichkeit, um Ihre Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen«, sagte
sie und nahm in dem Sessel Platz, den er ihr zuwies.
»Danke, daß Sie gekommen sind.«
Der Schädel selbst schien plötzlich an Farbe zu gewinnen, was bewies, daß nicht einmal der Tod
unempfänglich gegen Schönheit war.
»Es mußte getan werden«, sagte er knurrig.
»Wenn ein unvorhergesehener Tod stattfindet, verheddern sich die Schicksalsfäden.«
»Ich... wo bin ich? Im Himmel?«
Thanatos schnaubte abfällig, obwohl seine Nase kein Fleisch aufwies.
»Im Fegefeuer«, sagte er.
»Am Ort der Entscheidungslosigkeit und der Entscheidung. Hier befinden sich alle
Inkarnationen.«
»Oh. Ich... bin noch nie über das Leben
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