Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
müßten Ihren Sohn der Fairneß halber zurücklassen.«
Entsetzt musterte sie Junior.
»Aber... danach kann ich ihn doch wiederhaben oder...?«
»Sofern Sie erfolgreich sind«, warf er ein. »Aber Sie besitzen keine Erfolgsgarantie. Wonach Sie
suchen, das ist schließlich kein gewöhnlicher Mensch, sondern eine übernatürliche Wesenheit.
Möglicherweise kehren Sie von einer solchen Reise niemals zurück.«
»Angenommen... ich gebe mein Kind zu einer guten Familie?« fragte sie mit stockender Stimme.
»Damit es ihm gutgeht... falls ich nicht... nicht zurückkehren sollte?«
»Das wäre natürlich eine Möglichkeit«, stimmte er zu.
»Natürlich müßten Sie einen Zauber zum Abstillen verwenden und dafür sorgen, daß das Kind mit der
Flasche gefüttert wird, während...«
»Dann sagen Sie mir also auch, wie ich den Tod erreiche?«
»Das werde ich Ihnen dann sagen«, willigte er zögernd ein. »Schließlich habe ich Ihnen ja einmal
versprochen, Ihnen zu helfen, wenn Sie mich darum bitten sollten.«
Sie fuhr mit der Droschke so schnell wie möglich zum Hof von Cedrics Vetter Pacian. Pacian selbst
war zwölf Jahre alt, also sechs Jahre jünger als Cedric, doch seine Eltern waren gütige Menschen
mit einem ausgeprägten Familiensinn. Ja, sie würden Junior aufnehmen; schließlich war er von
ihrem Blut. Pacian, ein Junge mit angenehmem Gesichtsausdruck, der sie auf gespenstische Weise an
Cedric erinnerte, hieß Junior wie einen kleinen Bruder willkommen.
Dann begab sie sich mit aufgewühltem Inneren und unter reichlichen Tränen wieder zum College, wo
der Professor ihr den Weg zum Tod zeigen sollte.
Neben dem College gab es einen kleinen Teich, und sie hatten ein altes, nicht mehr seetüchtiges
Segelboot für ihre Zwecke notdürftig hergerichtet. Das Schiff konnte nur in eine Richtung segeln;
direkt, vor dem Wind. Doch was zählte, war nicht die eigentliche Richtung, sondern der geistige
Impuls.
Das kleine Deck war mit benzingetränktem Buschwerk hochbedeckt, schon ein einziger Funken würde
das Boot sofort in Flammen aufgehen lassen. Das Segel war kohlschwarz und mit einem bleichen
Totenschädel und gekreuzten Knochen bemalt; diesmal jedoch nicht als Zeichen der Piraterie,
sondern als Symbol des Todes. Tatsächlich war es ein Todesboot. Niobe trug ihr elegantestes
schwarzes Abendkleid, schwarze Handschuhe und Sandalen. Ihr fließendes honigfarbenes Haar war mit
einem schwarzen Band zusammengebunden. Der Professor stand am Ende der Pier neben dem Boot. Er
sah alt und gebeugt aus, und sein Gesicht war so bleich wie Gebein.
»Sind Sie sich ganz, ganz sicher...?« murmelte er.
»Wenn Cedric stirbt, wozu sollte ich dann noch leben?« erwiderte sie. Sie stützte sich auf seinen
Arm und trat an Deck. Das Boot schaukelte im Wasser, hastig nahm sie Platz.
»Vielleicht begegnen wir uns noch einmal«, meinte der Professor.
»Natürlich werden wir das«, sagte sie und warf ihm einen Kuß zu. Sie wußte, daß er sein Bestes
gegeben hatte, und sie vertraute auf seine Magie. Und dennoch hatte sie ein Gefühl, als wäre sie
ein Reh, das direkt vor die Flinte des Jägers trat. Der Jäger aber war der Tod selbst.
»Denken Sie immer daran«, ermahnte sie der Professor, »daß Sie von Bord springen können, ein
Schwimmer wird Sie retten.« Er zeigte auf die drei muskulösen Männer, die wachsam am Ufer
standen.
»Um meine Liebe aufzugeben?« fragte sie abfällig.
»Ich werde nicht springen.«
»Dann soll Gott mit Ihnen sein«, sagte er, und es war keine bloße Floskel.
Wo war Gott, als man Cedric erschossen hatte? fragte sie sich. Dennoch lächelte sie. »Bitte
ablegen.«
Der Professor beugte sich vor und nahm das Tau von der Befestigung. Die Brise packte das Segel,
und das Schiff fuhr hinaus auf den See. Niobe drehte sich um und winkte den Wartenden hinter sich
am Ufer zu. Dann griff sie in ihre Tasche und holte ein großes Streichholz hervor, mit dem sie
über die harte Deckoberfläche fuhr. Sofort entzündete es sich.
Einen kurzen Augenblick hielt sie die kleine Flamme vor sich. Dann biß sie auf ihre Unterlippe,
schloß die Augen und warf das brennende Streichholz nach vorne in das Strauchwerk. Würde sie den
Mut zu einem neuen Versuch aufbringen, falls es den Zunder nicht zum Brennen brachte?
Doch schon einen Augenblick später knisterte das Feuer. Sie öffnete die Augen und erblickte
Flammen und Rauch, die in die Höhe strebten. Das Feuer breitete sich nicht sofort aus; es dauerte
mehrere Sekunden, bis
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