Inkarnationen 03 - Des Schicksals duenner Faden - V3
Bestimmung zu erfüllen, die offensichtlich
darin bestand, zu einem Aspekt der Schicksalsgöttin zu werden. Doch wie sollte sie dies tun?
Wieder erkannte sie, wie die Antwort lautete. Sie würde es tun.
Das Schicksal würde es tun wenn die Zeit reif war.
Wenn die Schicksalsgöttin vielleicht die Fähigkeiten einer Meisterweberin brauchte. Die
Schicksalsgöttin - die Weberin schlechthin!
Niobe brauchte nur zu warten. Wahrscheinlich war sie so lange in Sicherheit, wie sie Satans
Aufmerksamkeit nicht auf sich zog. Natürlich wollten die Inkarnationen nichts preisgeben;
je weniger Wesen von einem Geheimnis wußten, um so besser war es geschützt.
Doch nun hegte sie etwas Hoffnung. Sie konnte Cedric zwar nicht zurückbringen, doch sie konnte es
mit Satan aufnehmen, wenn sie erst einmal zur Schicksalsgöttin geworden war.
Aber was war mit Junior? Den konnte sie bestimmt nicht ins Fegefeuer mitnehmen! Sie würde ihn
fortgeben müssen.
Wenn Cedric weitergelebt hätte, so erkannte sie, wäre nichts von alledem möglich geworden. Ob er
das auch gewußt hatte?
Vielleicht hatte er versucht, ihr während der Totenwache mitzuteilen, daß er wollte, daß sie
diese Aufgabe übernahm, ja daß dies Teil des Motivs für sein Handeln gewesen war.
O Cedric!
Nun konnte sie die Herausforderung nicht länger ablehnen.
Sie fuhr mit ihren Alltagsarbeiten fort, und ihre Trauer ließ langsam nach. Täglich brachte sie
Junior zum Spielen zu der Hamadryade, denn er genoß es sehr und schien dabei auch einiges zu
lernen, wenngleich sie unsicher war, worum es sich genau handeln mochte.
Sie arbeitete hart an ihrem angefangenen Webteppich, um ihn nicht für immer unvollendet zu
lassen, wenn sie plötzlich fortgerufen werden sollte. Außerdem nahm sie Junior auf Besuche zum
Vetter Pacian mit, weil sie nun wußte, daß er eines Tages dort bleiben mußte.
Sie wollte sich nicht von ihm trennen, wußte aber, daß es notwendig sein würde und daß es besser
war, es früher zu tun als später, um ihm den gefühlsmäßigen Übergang zu erleichtern. In aller
Stille regelte sie ihre Geldangelegenheiten und sorgte für eine Treuhänderschaft, die Juniors
Vormund eine Unterstützung ausbezahlen sollte, damit er niemandem finanziell zur Last fiel.
So vergingen Wochen.
Fast begann sie zu zweifeln.
Dann kam eines Tages ein dicker Brief.
Er war an sie adressiert, doch darin befand sich eine Fahrkarte zu einer Stadt auf einem anderen
Kontinent, darauf der Name einer anderen Frau. Daphne Morgan.
Niobe begutachtete den Umschlag noch einmal. Er war ganz eindeutig an sie adressiert. Sie suchte
nach einer Absenderadresse, entdeckte jedoch keine. Der Poststempel war nicht zu entziffern.
Offensichtlich hatte man die falsche Fahrkarte hineingelegt, doch gab es keine Möglichkeit, den
Brief zurückzuschicken.
Die falsche Fahrkarte? Warum hätte sie überhaupt eine Fahrkarte bekommen sollen?
Wer war Daphne Morgan? Hatte sie irgend etwas empfangen, das für Niobe gedacht war? Doch von wem?
Und warum? Die Sache war völlig verwirrend.
Und doch hatte irgend jemand den Umschlag beschriftet und abgeschickt. Es konnte kein völliges
Versehen gewesen sein.
Sie dachte darüber nach. Sie nickte.
»Natürlich!«
Sie verabschiedete sich von der Hamadryade und übergab Junior der Familie von Cedrics Vetter.
Zwar hatte sie einen leidneutralisierenden Zauber genommen, dennoch tat es weh.
»Schon einmal«, sagte sie zu ihnen, »habe ich mein Kind bei euch untergebracht, unsicher, ob ich
jemals zurückkehren würde. Meine Rückkehr ist erneut ungewiß. Ich habe dafür Sorge getragen, daß
regelmäßig Geld kommt, um für die Unkosten aufzukommen, die er verursacht...«
Sie konnte nicht mehr weitersprechen.
»Er gehört zur Familie«, sagte Pacians Vater ernst, während seine Frau Junior nahm. Für ihre
Familie würden die Kaftans alles tun, und dies in aller Großzügigkeit, ohne etwas im Gegenzug zu
erwarten. An Juniors Reaktionen erkannte Niobe, daß er hier in liebevolle Hände kam. Niobes
Eltern waren wirklich sehr weise gewesen, als sie dafür gesorgt hatten, daß sie in eine solche
Familie hineinheiratete.
Niobe spürte, wie die Tränen wieder in ihr aufwallten.
Küssend verabschiedete sie sich von ihrem Kind und gab dem guten Mann und der guten Frau
ebenfalls einen Kuß, auch dem Vetter Pacian, der völlig benommen wirkte. Im Alter von zwölf
Jahren war er noch niemals von einer wahrhaft schönen Frau geküßt worden. »Da ist ein Baum, eine
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