Inkarnationen 05 - Sing ein Lied fuer Satan - V3
hat«, erklärte die Meerjungfrau.
»Ein Berserker?«
»Habt Ihr denn noch nie von Berserkern gehört?« rief die Harpyie. »Wenn sie nur ein wenig Blut
schmecken, drehen sie durch und sind nicht mehr zu bändigen. Wie Haie greifen sie alles an, was
ihnen zu nahe kommt, und bringen wahllos jeden um. Sie stechen, hacken, hauen, schlagen und
würgen so lange, bis...«
»Bis sie selbst getötet werden«, sagte die Nixe rasch. »Was immer auch geschehen sein mag, es ist
jetzt vorbei. Denn ein Berserker ist erst dann keine Gefahr mehr, wenn er seinen letzten Atemzug
gemacht hat.«
»Das hört sich ja furchtbar an!« entsetzte sich Orb. »Ich bin wirklich froh, daß wir diesem
Wüterich nicht begegnet sind.«
Die Harpyie flatterte wieder erregt mit den Schwingen. »Na ja, das wäre sicher kein Spaß für Euch
geworden, denn...«
»Denn wir wollen jetzt lieber mit dem Unterricht fortfahren«, sagte die Meerjungfrau schnell und
warf der Harpyie einen warnenden Blick zu.
Orb war an diesem Tag nicht recht bei der Sache.
Sie hatte den unbestimmten Eindruck, daß ihr von allen Seiten etwas verschwiegen wurde.
Später begab sie sich zu Mym und fragte ihn:
»Wußtet Ihr, daß man die fünf Thugs, die uns aufgelauert haben, erschlagen aufgefunden hat? Wie
erklärt Ihr Euch das?«
»E-e-ei-i-in Be-e-erse-e-erke-e-er...« Mym stotterte so sehr, daß Orb beschloß, ihn später noch
einmal zu befragen. Sie sagte sich, daß er wohl davon gehört haben mußte.
Die Zeit des Monsuns war angebrochen. Endlose Regenfälle hatten bereits das ganze Land
überschwemmt. In Orbs Wagen aber war es warm und trocken. Mym hielt sich jetzt häufiger bei ihr
auf.
»Ich denke, es ist an der Zeit, daß wir uns etwas besser kennenlernen«, sagte sie. »Wir haben...
nun wir sind ja jetzt schon seit einiger Zeit Kollegen, und...« Sie wußte nicht weiter und zuckte
hilflos die Achseln. Wie hätte sie ihm auch sagen sollen, daß sie seine Gesellschaft sehr genoß.
Mym, der so zurückhaltend und bescheiden auftrat, hatte sich in Orbs Augen als angenehmer und
verständnisvoller Mann entpuppt. Und das Geheimnis, das von ihm ausging, verlieh ihm in ihren
Augen eine gewisse Faszination.
Er nickte; überhaupt war er immer bereit, ihr jeden Wunsch zu erfüllen. Er war ein richtiger
Gentleman. Die Meerjungfrau und die Schlangentänzerin hatten Orb den vertraulichen Hinweis
gegeben, daß der Fremde durchaus Interesse an ihr zeigte. Beide gestanden, Mym auf die Probe
gestellt zu haben, er aber habe sich jedoch auf nichts eingelassen. Orb hatte sich sehr
geschmeichelt gefühlt, und immer häufiger wurde es ihr abwechselnd heiß und kalt, wenn sie an Mym
dachte. Als Gentleman würde er sie nie zu etwas zwingen, was sie nicht wollte. Sie fühlte sich in
seiner Gegenwart sicher und geborgen; und das war ihr sehr viel wert.
Sie erzählte ihm von ihrem Leben: Von ihrer Jugend in Irland; von der magischen Harfe, die der
Bergkönig ihr geschenkt hatte; von ihrer Suche nach dem Llano. Er hörte ihr aufmerksam zu, und
als sie von dem mysteriösen Lied sprach, sagte er, er habe vom Llano gehört.
»So? Was denn?« fragte sie aufgeregt.
Er erzählte ihr ein paar Geschichten von dem Lied, die sie aber allesamt in ähnlicher Form schon
kannte.
Doch Orb lächelte selig. Für sie waren seine Geschichten eine Bestätigung, daß das Llano wirklich
existierte. »Natürlich ist das meiste nur erfunden«, sagte sie. »Vor allem kommt doch wohl in der
Wirklichkeit kaum so etwas vor wie die junge Frau, die durch das Llano einen höhergestellten Mann
für sich gewinnt.«
»Wer weiß, die Liebe geht die seltsamsten Wege«, entgegnete er geheimnisvoll.
Sie sah ihn an und wußte, warum er auf Frauen einen so großen Eindruck machte. Der Regen
trommelte gleichmäßig gegen die Wände und auf das Dach, doch in ihrem Wagen war es sehr
gemütlich. Sie wünschte, sie könnte... ja, was? Ihn einfach umarmen? Nein, so etwas hatte sie
noch nie bei einem Mann gemacht. Außerdem war er schließlich der Mann, sollte er doch den Anfang
machen. »Ja, das tut sie«, sagte sie. »Doch natürlich seid Ihr keine höhergestellte
Persönlichkeit. Nicht, daß mir das etwas ausmachen würde, Mym. Ich muß gestehen, Ihr seid mir
nicht ganz gleichgültig, und...«
»I-i-ich...« Doch dann brachte er gar nichts mehr heraus.
Sie legte eine Hand auf seine. »Plagt Euch nicht, Mym. Ihr braucht nicht mit Worten zu mir zu
sprechen.«
Sie strahlte ihn an, und dann kam ihr eine neue Idee.
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