Inkarnationen 05 - Sing ein Lied fuer Satan - V3
Offensichtlich mußte es tatsächlich Nacht sein, bevor sie sich
verwandelte; bloße Finsternis reichte nicht aus. Eigentlich war das ja auch logisch so, sonst
hätte man ja nur für eingeschaltete Lampen sorgen müssen, um sie von der Verwandlung
abzuhalten.
Doch rückte die Nacht unerbittlich näher. Orb fühlte sich zunehmend unbehaglicher, vor allem,
weil sie keinen Ausweg mehr sah.
Die Jungs hockten vor dem Fernseher im Wohnzimmer. Sie unterhielten sich gut bei einem Programm,
dem Orb so gar nichts abgewinnen konnte: Prügeleien, Schießereien, etwas Sex und etliche Kalauer.
Nun denn, ein anderes Programm wartete schon auf sie.
Plötzlich entdeckte Orb Lou-Mae zwischen den Jungs. Nein, das Mädchen durfte nicht Zeuge werden,
wenn...
Orb warf zum wiederholten Mal einen Blick auf Jezebel. Ihre schlimmsten Befürchtungen wurden
übertroffen. Eben noch war sie die alte, unansehnliche Frau gewesen, und jetzt stand in der Küche
eine atemberaubend wohlgeformte Mittzwanzigerin in einem sehr provokativen Aufzug. Jezebel hatte
sich in einen Succubus verwandelt.
Aber warum spülte sie noch? Warum schrubbte sie gleichförmig Teller um Teller ab?
Orb atmete tief durch und begab sich in die Küche.
Sie nahm sich ein Tuch, trocknete ab und stellte das Geschirr in die Knochenregale. Ȁh,
Jezebel...«, begann sie vorsichtig.
»Ja, bitte?«
Orb konnte sich nicht mehr beherrschen. Sie mußte einfach eine Antwort haben. Doch rechtzeitig
wandte sie sich ab, atmete mehrmals tief ein und fragte dann: »Sag mal, wo kommt eigentlich das
ganze Geschirr her? Hast du es herbeigezaubert?«
»Ich habe alles aus meiner Privatsammlung herbeigerufen. Ihr dürft euch aber gern davon
bedienen.«
»Und wo kommen die Nahrungsmittel her?«
»Die zaubere ich auch herbei. Mrs. Glotch begleicht dann die Rechnungen.«
Und so stellte Orb Frage um Frage, bis Jezebel einmal zufällig an sich herabsah. »Oh, es ist
soweit. Ist mir gar nicht aufgefallen.«
»Du hast dich schon vor einer halben Stunde verwandelt«, sagte Orb.
»Nein, unmöglich. Der Fluch...« Sie sah auf ihre Armbanduhr. »Doch, die Zeit ist gekommen. Wie
geht das an?«
»Heißt das vielleicht, du spürst nicht in dir den Zwang...«
»Nein... da ist nichts«, wunderte sich Jezebel. »Eigenartig, das ist mir noch nie
widerfahren.«
»Jonas!« rief Orb. »Er hebt die Drogensucht auf, und höchstwahrscheinlich befreit er dich auch
von deinem Zwang.«
»Soll das heißen, ich habe endlich einmal eine Nacht lang Ruhe? Ich muß mir keine Männer
suchen?«
»Es hat ganz den Anschein.«
»Ich wußte, daß an diesem dicken Fisch etwas Besonderes sein mußte, aber so etwas, nein, das
hätte ich nie für möglich gehalten. Was für ein...«
Sie brach abrupt ab und mußte würgen.
»Was ist denn los?« fragte Orb besorgt. »Nun, bestimmte Worte kann ich einfach nicht sagen. Als
Dämonin ist mir da die Zunge gebunden. Aber wenn ich mit Sterblichen zusammen bin, vergesse ich
dieses Handicap manchmal. Hm, ich wollte dieses Wort sagen, mit dem ihr ausdrückt, daß etwas
besonders Schönes von da oben gekommen ist.«
»Ein Segen?«
»Ja, genau das wollte ich sagen.«
Jezebel wirkte sehr erleichtert, und Orb erging es ebenso, wenn auch aus anderen Gründen. Sie
hätte Jonas in diesem Augenblick umarmen können, wenn er nicht so furchtbar groß gewesen
wäre.
Lou-Mae kam in die Küche, um sich ein Glas Wasser zu holen. »Wer sind Sie denn?« entfuhr es
ihr.
»Das ist Jezebel«, lächelte Orb. »In der Nacht nimmt sie eine andere Gestalt an.«
Lou-Mae verzog den Mund und wollte etwas bemerken, aber Jezebel kam ihr zuvor: »Ich bin ein
Succubus, eine Dämonin, die Männer verführt. Doch seit kurzem verrichte ich diesen Dienst nicht
mehr. Du brauchst dir also um deinen Freund keine Sorgen zu machen, Kleines.«
Lou-Mae warf einen Blick über die Schulter ins Wohnzimmer, wo die drei Jungs saßen. Offenbar war
für sie die Gefahr noch nicht gebannt. »Was tut ein Succubus hier?«
»Ich suche das Llano. Es kann mich für immer von meinem Fluch befreien.«
»Hast du nicht eben gesagt, du seiest außer Diensten?«
»Nur so lange, wie ich in Jonas bin. Draußen würde der Drang mich wohl sofort wieder überkommen.
Genau so, wie dein Freund draußen wieder seiner Sucht erliegen würde.«
Das Mädchen dachte darüber nach. »Wenn wir einen Auftritt haben, bleibst du dann im Fisch?«
»Natürlich, wo sollte ich sonst hin?«
Lou-Mae beruhigte sich etwas. »Warum kommst du nicht zu uns und
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