Inkarnationen 05 - Sing ein Lied fuer Satan - V3
Karten brauchten sie nicht, denn Jonas wußte, wohin er sich wenden mußte. Nur
Jezebel beklagte sich, sie wüßte schon gern, wo sie sich gerade aufhielte. Also kaufte man ihr
eine Karte.
»Nicht möglich!« rief sie eines Tages. »Hier steht Llano.«
Orb hätte fast ihre Harfe fallenlassen.
»Sieh selbst«, sagte Jezebel und zeigte mit dem Finger auf einen Punkt. Alle schienen das
mitbekommen zu haben und drängten nun ins Wohnzimmer. »Glaubst du, das könnte der Ort sein, an
dem...«, fragte Jezebel ergriffen.
»Eigenartig«, murmelte Orb. »Ich hätte mir nie vorgestellt, daß man das Llano auf einer Landkarte
finden könnte. Was für ein Zufall...«
»Es gibt keine Zufälle«, bemerkte Jezebel. »Wenn man weiß, wie etwas funktioniert, gibt es keine
Zufälle mehr.«
»Mensch, und wir haben auch noch ganz in der Nähe einen Auftritt!« entfuhr es dem Drummer.
»Wenn wir da das Lied finden könnten, wenn es tatsächlich eine so wunderbare Wirkung
hat...«
Alle nickten heftig. Lou-Mae und der Drummer lächelten sich versonnen an. Die beiden gehörten
jetzt schon zusammen und wollten ein Paar werden. Nur Lou-Maes Beharren darauf, daß ihr Danny erst sein Drogenproblem lösen sollte, hinderte die beiden daran, sich
näherzukommen.
Nach dem Auftritt in einer nahegelegenen Stadt befahlen sie Jonas, zum Llano zu schwimmen. Die
ganze Gegend, samt Fluß, Feldern und Stadt, trug diesen Namen.
Am nächsten Morgen schwebte Jonas über einer weiten, baumlosen Ebene.
»Ob er sich verirrt hat?« wunderte sich der Drummer. »Hier ist weit und breit nichts von einem
Fluß oder einer Stadt zu sehen.«
»Verfluchte Wesen verirren sich nicht«, stellte Jezebel klar.
Alle wußten mittlerweile von Jezebels Besonderheit. Die Jungs bedauerten, daß die Haushälterin
ihren dämonischen Zwang abgelegt hatte. In der Nacht, wenn sie zusammenhockten, kamen sie immer
wieder auf dieses Thema zu sprechen - was für die drei Frauen zur nie versiegenden Quelle der
Heiterkeit wurde. Oft genug bedauerten die Jungs es auch, daß Orb sich so zugeknöpft gab. Lou-Mae
war über manche der Ausdrücke, die die drei gebrauchten, ehrlich schockiert. Orb zeigte sich
davon angewidert. Nur Jezebel langweilte es. Doch sie gaben den Jungs niemals auch nur den
kleinsten Hinweis darauf, daß sie belauscht wurden. Eines Tages stellten sie dann fest, daß sie
sich auch von ihren Zimmern aus miteinander unterhalten konnten. Sie brauchten nur an den zu
denken, mit dem sie reden wollten, und schon war der Kontakt hergestellt.
Sie studierten die Karte und stellten schließlich fest, daß der Wal sie statt zur Stadt Llano zur
Wüste Llano Estacado gebracht hatte.
»Vielleicht ist das gar nicht so dumm«, bemerkte der Gitarrist. »Ich nehme an, Jonas hat sich
etwas dabei gedacht.«
Sie beschlossen, sich dem Willen des Wals zu beugen und sich auf der Sandebene umzusehen.
Jonas landete und öffnete das Maul.
Orb trat hinaus und suchte. Sie wußte zwar nicht, wonach sie suchen sollte, doch sie hoffte, das
Lied würde sich ihr in irgendeiner Form zeigen. Als sie sich einmal umdrehte, sah sie, daß auch
die anderen suchten und einen ratlosen Eindruck machten.
In ihrer Not fing Orb schließlich an, den Tanana zu tanzen. Sie vollführte die gleichen
lockenden Bewegungen, doch jetzt tanzte sie nicht für einen Mann, sondern für das Lied. Und
tatsächlich glaubte sie nach einer Weile, eine schwache Melodie zu hören. Ein wunderschönes Lied,
feiner und hübscher als alles, was Menschen ersinnen konnten. Doch unter der Oberfläche strömte
eine Kraft wie von einem Ozean. Die Essenz dieser Kraft fuhr in sie und formte ihr Herz neu,
verwandelte Orb in ein Wesen von ganz besonderer Art. Das Lied, endlich das Lied...
Dann verging die Melodie. Orb öffnete die Augen und war restlos erschöpft. War das wirklich das
Llano gewesen? Etwas Besonderes war ohne Zweifel an diesem Lied. Orb kam sich nach der Berührung
mit der Kraft wie schwanger vor.
Schwanger. Was mochte aus ihrem Baby, aus Orlene geworden sein? Ob sie ihre Tochter je
wiedersehen würde?
In einer merkwürdigen Stimmung kehrte sie zu Jonas zurück. Sie war sich nicht sicher, ob sie bei
ihrer Suche weitergekommen war oder nicht.
Sie traten in immer größeren Sälen auf, die regelmäßig ausverkauft waren. Die einschlägige Presse
schrieb täglich von Livin' Sludge , und wenn es nichts Neues zu berichten gab, erfanden die
Presseleute eben einfach etwas. Nur von einem erfuhren sie nie, und die
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