Inkasso Mosel
Gang.
»Na, gestern Abend.« Gabi zog ihn weiter am Ärmel.
Er schüttelte ihren Griff in dem Moment ab, als sie ohne anzuklopfen die Tür zum Vorzimmer des Polizeipräsidenten öffnete.
»Gehen Sie gleich durch, Sie werden erwartet.« Die Sekretärin wies auf die offene Tür, wo Stiermann bereits am Besprechungstisch saß und stumm auf die Stühle ihm gegenüber deutete.
Auf dem Tisch lag aufgefaltet die Bildzeitung. Gabi würdigte sie keines Blickes. Walde war vorhin auf dem Gang nicht über die fetten Lettern hinausgekommen, nun las er den Bildtext: ›So kommentiert die Trierer Polizei den Justizskandal.‹
Das Schweigen am Tisch währte bereits über eine Minute. Damals, es war schon Jahre her, hatte es höchstens dreißig Sekunden gedauert, bis Walde von seinem wutschnaubenden Chef vom Dienst suspendiert worden war. Und die Stille dehnte sich immer weiter aus. Selbst Gabi, sonst nie um einen Spruch verlegen, schien den Ernst der Situation zu spüren.
Stiermann atmete mehrmals laut ein und aus, scharrte mit den Füßen unter dem Tisch und begann sehr leise zu sprechen: »Der Oberbürgermeister hat mich soeben angerufen. Dieses Blatt zählt für gewöhnlich nicht zu meinen bevorzugten Informationsquellen. Ich habe mir wohl oder übel eins bringen lassen.« Stiermann atmete wieder hörbar ein und aus. Das Scharren unter dem Tisch unterstrich seine Anspannung. »Diese widerliche Headline, dann dieses Foto …« Stiermann sank nach hinten in seinen Sessel. Walde fürchtete, sein Chef habe einen Herzinfarkt erlitten.
»… mit dieser vernichtenden Subline.« Die letzten Worte waren kaum zu verstehen.
Wenn er sie nicht umbringt, dann tu ich es, dachte Walde und betrachtete Gabi von der Seite, die angespannt im Sessel saß. Wie konnte sie ihn hierher schleppen, wo sie doch genau wusste, dass sie persönlich, und keineswegs Walde, zum Rapport gebeten worden war?
Von Stiermann war wieder nur ein Schnauben und das Scharren der Füße unter dem Tisch zu hören. Nicht mehr lange und er würde angreifen, wie ein wilder Stier.
In die Ruhe vor dem Orkan hinein sagte Gabi ganz gelassen: »Chef, das würde ich zum Presserat geben, das ist eine ganz billige Fotomontage. Das ist typisch BILD, dafür muss man nicht einmal Günther Wallraff gelesen haben, um diese hinterhältige Tour zu durchschauen.«
Walde erwartete, dass Stiermann lostobte. Aber er schien nachzudenken.
»Immer alles in den Dreck ziehen«, fuhr Gabi fort. »Das können die. Die Justiz verhöhnen und im gleichen Aufwasch noch der Polizei an den Karren fahren.«
»Wo wir bei Karren sind«, der Polizeipräsident sprach kaum lauter als vorhin. »Was denken Sie, um wessen Auto es sich hier auf diesem Foto handelt?«
»Eindeutig kein Polizeifahrzeug, das wüsste ich«, sagte sie mit sachlicher Miene.
Walde konnte Gabis Dreistigkeit nicht fassen. Er erkannte auf dem Foto den vertrauten Aufkleber der Eintracht Trier links vom Kennzeichen, das auf dem Original sicher die komplette Nummer von Gabis Wagen zeigte.
»Ach«, sagte Gabi, »jetzt fällt bei mir der Groschen. Sie meinen …« Sie schlug mit der flachen Hand auf den Tisch.
Stiermanns Scharren wurde unterbrochen. Gleichzeitig hatte sein Atem ausgesetzt. Walde hörte nur noch Gabis Armreif gegen die Tischplatte klimpern. Hatte sie ihn nicht vorher an ihrem linken Handgelenk getragen? Ebenso war der Ring am Mittelfinger verschwunden. Anstelle der Herrenuhr trug sie nun eine schmale Damenuhr mit zwei goldenen Halbmonden über dem Zifferblatt, die Walde bekannt vorkam.
Stiermann musste kurzsichtig sein, dass er den hellen, ungebräunten Streifen an ihrem linken Finger nicht bemerkte.
»Es handelt sich Ihrer Meinung nach um ein Fake?«, fragte Stiermann.
Gabi nickte: »Und obendrein noch schlecht gemacht. Die würde ich mit Klagen überziehen, dass denen Hören und Sehen vergeht. Verleumdung, Rufmord, Beamtenbeleidigung, Vortäuschung falscher Tatsachen …«
»… dieser Arm mit der Herrenuhr und dem Ring am Mittelfinger …«, Stiermann zog die Zeitung zu sich heran und hielt sich das Foto dicht vors Gesicht.
Gabi streckte ihren linken Arm in die Höhe mit der Handfläche nach vorn: »Das ist ja wohl lächerlich, aber sehen Sie selbst.«
Aus der Perspektive des Präsidenten waren die Spuren des Rings auf der Innenseite der Hand und der größeren Armbanduhr auf der ungebräunten Seite ihres Handgelenks nicht zu sehen.
»Ist denn jemand anderes gefahren, Herr Bock?«
Die Frage des Präsidenten
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