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Inkasso Mosel

Titel: Inkasso Mosel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mischa Martini
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Johannisstraße. Auf diese Weise konnten vielleicht einige Euro für Weihnachtsgeschenke gespart werden. Früher waren ihm Kinderwagen kaum aufgefallen. Als werdender Vater schien es ihm, dass sich seine Wahrnehmung der neuen Situation anpasste.
    Walde betrachtete die hohe Mauer auf der anderen Seite des Weges. Mehr als ein Schüler hatte hier den Versuch eines Klimmzugs mit blutenden Händen bezahlen müssen. Auf dem Sims waren Glasscherben einbetoniert. Walde fragte sich, ob es sie immer noch gab und nahm das Stahltor in der Mauer in Augenschein, das oben in kleinen Zacken auslief. Von dem dahinter gelegenen Haus waren nur die mit dunklem Schiefer verkleideten Ränder des Flachdaches zu sehen. Er erkannte das Haus vom Foto in der Akte wieder. Links im Torbereich war eine Klingel ohne Namensschild angebracht und darüber eine Kamera in der Wand eingelassen. Walde drückte auf den Klingelknopf und wartete eine Weile an der Sprechanlage, bis sich eine Frau mit unsicherer Stimme meldete.
    Es stellte sich heraus, dass sie zufällig im Haus war, um die Pflanzen zu versorgen. Die Bewohner waren in den Süden verreist. Genaueres konnte Walde nicht herausfinden. Während des kurzen Gesprächs blieb das Tor verschlossen. Ein eisiger Wind blies ihm um die Ohren. Hätte er seinen Dienstausweis dabei, wäre ihm die Kälte wahrscheinlich erspart geblieben. Walde hinterließ seine Telefonnummer, und die weibliche Stimme versprach, ihm die Urlaubsadresse der Bewohner mitzuteilen.
    Er widerstand der Versuchung, in ein Café einzukehren, um sich aufzuwärmen, und entschied, zur neuen Wohnung zu gehen. Der Rückweg führte ihn über den Justizplatz. Der Eingang des Gerichtsgebäudes wurde von Leuten mit Kameras und Stativen belagert. Walde schienen es weniger als am vergangenen Abend zu sein. Offensichtlich hatte man ihnen den Zugang verwehrt. Aus ihrer Anwesenheit schloss er, dass sich Harras im Gebäude aufhalten musste.
    Walde wurde aufmerksam gemustert, als er an den Journalisten vorbei ins Gericht ging. Vielleicht erregte er deren Interesse, weil er seinerseits die Gruppe keines Blickes würdigte.
    Am Eingang wurde er aus der Pforte angesprochen: »Stellen Sie sich mal vor, Herr Kommissar«, sagte einer der grün uniformierten Gerichtsbediensteten, »so ein Pressefuzzi, ein ganz ausgekochter von da draußen, hat uns heute drangekriegt. Er sagte, er wolle zur Verhandlung in den Saal 56, muss sich wohl vorher erkundigt haben. Aber da wollte er natürlich gar nicht hin. Im Korridor des Landgerichts haben wir ihn gestellt und vor die Tür komplimentiert.« Er senkte seine Stimme: »Man will die Presse an so einem Tag wie heute ja nicht unnötig verärgern.«
    »Dann ist Dr. Harras also da?«, fragte Walde.
    Der Beamte nickte: »Tach, Herr Dr. Haupenberg.«
    Der Anwalt eilte im wallenden Mantel mit Pelzbesatz und Hut in das Gebäude.
    »In dem seiner Haut wollt’ ich riet stecken«, sagte der zweite Mann hinter der Glasscheibe.
    Auf der Treppe fragte sich Walde, wen der Pförtner mit seiner letzten Bemerkung gemeint hatte, den Richter oder den Anwalt?
    Die Tür zum Büro des Richters stand offen. Walde klopfte an den Türrahmen. Harras war in eine Akte vertieft. Er hob den Kopf mit dem weißen Bürstenhaarschnitt und sah über den Rand seiner Lesebrille. Für gewöhnlich hatte Walde ein Problem mit den Trägern solcher Halbbrillen.
    »Herr Kommissar«, begrüßte ihn der Mann hinter dem Schreibtisch, »was kann ich für Sie tun?«
    »Störe ich?« Walde sah, dass die dunklen Ringe unter Harras’ Augen noch größer geworden waren.
    »Wobei?«, fragte der Richter. »Bei Dienstvergehen? Oder haben Sie mich in meiner Großen Schlafkammer geweckt? Mein Ruf ist bereits ruiniert, wenn man der örtlichen Tageszeitung und BILD glauben darf. Aber knapp 70 Anklagen und 190 Beschwerden müssen in diesem Jahr von drei Kammern bewältigt werden, trotz Krankheit und Urlaub.« Mit einem gelben Zettel markierte er die Stelle, an der er die Akte zuklappte. Dann ergänzte er den Satz: »Hinzu kommen unvorhergesehene Umstände und Trauerfälle.« Er stand auf und reckte sich hinter seinem Schreibtisch, als täten ihm die Knochen vom langen Sitzen weh: »Ich müsste schon längst einen besseren Stuhl haben. Aber überall wird gespart. In Ihrer Behörde wird das nicht besser sein.«
    »Wir haben immerhin ein renoviertes Gebäude bekommen.«
    »Mit neuen Möbeln?«
    Walde schüttelte den Kopf.
    »Was halten Sie von einem Kaffee?«, fragte

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