Inkubus
ausgeleierten Brüste, wie sie unter den Stößen der Freier wie eine träge, fleischgewordene Brandung hin- und herschaukelten. Er sah, wie sie ihren Mund öffnete und sich von den Unbekannten nährte.
Er sah alles. Und es berührte ihn nicht.
Dann holte er stets ein Fläschchen Alkohol aus seiner Tasche und spritzte ein paar Tropfen auf dieses kleine unempfindliche Anhängsel, das so blass zwischen seinen Beinen wuchs. Und das darauffolgende Brennen – das der Lust eines Mannes sehr nahekam und seinem kindlichen Körper ein Stöhnen entlockte – weihte er seiner Mutter und dem Leben, das sie einander hätten bieten können.
Primo Ramondi kauerte in der Dunkelheit. Nebenan lief wie immer der Fernseher. Er wartete, bis sich sein durch die Anstrengungen beschleunigter Atem wieder beruhigt hatte, dann stand er auf, zog sich die Schuhe aus und betrat den Flur.
Er schlich an der Wand entlang, bis er die Tür zum Zimmer der Wächterin erreicht hatte.
Aus dem Fernseher ertönte die Stimme eines Gewinnspielmoderators. Primo Ramondi sah nur einen kleinen Ausschnitt des Sessels, in dem die alte Frau saß. Er machte sich bereit. Das war der einzige Moment, in dem die Wächterin ihn entdecken konnte. Erst wenn er den letzten von drei kleinen raschen Schritten gemacht hatte, konnte er sicher sein, dass er wieder einmal unbemerkt diese helle Zone passiert hatte. Sonst legte er stets eine Pause ein, sobald er diese immer offen stehende, zweiflügelige Tür hinter sich gebracht hatte. Er presste seinen Körper erneut im Schatten an die Wand und lauschte auf eine Reaktion, die ihm verriet, dass er entdeckt worden war. Doch das geschah nie. Die Wächterin hätte eigentlich sein Spiegelbild auf dem Fernsehbildschirm sehen können, doch das Alter hatte ihre Augen getrübt und über ihre Netzhaut huschten geisterhafte Schatten.
Primo Ramondi betrat schnell und aufrecht die helle Zone, den Blick nach vorn gerichtet. Vorsichtig setzte er eine Zehenspitze auf den Boden, bevor er das andere Bein nachzog. Noch in der Bewegung spürte er, wie auf einmal die Spannung in seinen Füßen nachließ. Und auch aus seinem Kopf wich. Plötzlich wusste er, dass er dieses Mal genau dort, mitten im Licht stehen bleiben würde.
Und er blieb stehen.
Langsam ließ er die Fersen auf den Boden sinken und drehte seinen Oberkörper zum Zimmer.
Gleichzeitig schoss ihm durch den Kopf, dass er noch nie das Gesicht der Wächterin gesehen hatte.
Er hatte immer nur kleine, flüchtige Blicke auf sie erhascht. Eine runzlige Hand, die die Fernbedienung umklammerte oder sich in die abgewetzte Decke wühlte, mit der sie ihre schwindende Körperwärme zurückzuhalten versuchte. Verkrümmte Zehen, die in dicken dunklen Strümpfen und geschlossenen, schwarzen Filzpantoffeln steckten. Ein sandfarbener Bügel ihrer Brille, der hinter einem großen, durchscheinenden Ohr auflag – aus dem enormen Ohrläppchen waren die schweren Schmuckgehänge ihrer Jugend verschwunden, die im Lauf der Zeit das Gewebe ausgeleiert hatten. Eine dünne, störrisch abstehende Strähne ihrer beinahe tiefblau wirkenden Haare, in denen sich das Fernsehbild wie in der Kunsthaarperücke einer Puppe spiegelte.
Aber er hatte noch nie ihr Gesicht im Ganzen gesehen.
Primo Ramondi stand unbeweglich im warmen, goldenen Lichtstrom.
Die Finger, mit denen er seine Schuhe festhielt, spreizten sich.
Es gab ein trockenes Geräusch, als sie auf die angegrauten Majolikafliesen plumpsten.
Die Wächterin drehte sich um. Aber sie erkannte ihn nicht. Sie riss den Mund auf, um zu schreien.
Primo Ramondi war sofort bei ihr und nahm zärtlich ihren Kopf zwischen die Hände, wie um sie zu küssen. Dabei verrutschte die Brille der alten Frau und fiel in ihren Schoß. Dann drehte er ihren Hals einfach weiter, wie um ihr zu zeigen, dass da gar nichts war, und verdrehte ihn ganz sanft noch ein Stück.
Er hörte ein Geräusch wie von zwei Kieseln, die im Sand gegeneinanderrieben. Ein sehr leiser, kaum störender Ton.
Dann sah er sie an: Die Wächterin hatte hellblaue, von grauem Star getrübte vorstehende Augen, eine feingeschnittene, lange Nase, ein spitzes Kinn, die dünne runzelige Haut der Wangen war weiß und hing schlaff herab.
Er wischte ihr den Speichelfaden aus dem Mundwinkel, setzte ihr die Brille wieder auf und strich ihr die Haare glatt, um die störrische Strähne zu ordnen. Dann drehte er ihren Kopf wieder zum Fernseher.
Der Moderator – der eine schreiend rote Jacke trug und dichtes
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