Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
sämtliche Vorderzähne ausgeschlagen hatte und dessen Mund nur noch eine einzige blutige Masse war.
    »Hör auf, Palermo, es reicht!«, schrie ihn Amaldi an. »Hör auf, du bringst ihn um.« Er zerrte so heftig an Palermos Arm, dass dieser das Gleichgewicht verlor.
    Palermo stand auf und baute sich noch mit der Waffe in der Hand keuchend vor ihm auf, seine Nasenflügel bebten, die Augen funkelten vor Zorn und sein Gesicht war blutbespritzt.
    Amaldi packte ihn an der Schulter und schüttelte ihn.
    »Komm endlich zu dir, Palermo!«, sagte er und schaute sich nach der Gestalt um, die zusammengekauert wie ein Häufchen Elend auf dem schmutzigen grünen Linoleumboden saß und weinte.
    Die Schwester hatte die Putzfrau in Bett 17-B entdeckt, wo sie unter der Decke zusammengekauert unruhig schlief.
    Die Kinder standen um das Bett herum und starrten die Schlafende neugierig an.
    Unwirsch rüttelte die Schwester an ihrer Schulter und versuchte, sie zu wecken.
    Luz schreckte hoch und riss die Augen auf.
    »Wo ist Primo?«, schrie er mit gebrochener Stimme, da er noch im Labyrinth seiner Vergangenheit herumirrte. Seine Augen verloren sich in der Ferne, in einem längst vergangenen Tag. Eines Morgens war er aufgewacht und hatte entdecken müssen, dass der Gegenstand seiner ersten leidenschaftlichen Liebe verschwunden war.
    Die Schwester zog die Decke weg.
    »Das ist ja ein Mann …«, stammelte sie.
    Die Kinder kicherten.
    »Wo ist Primo?«, schrie Luz noch einmal, blind vor Schmerz.
    »Das ist ein Mann …«, sagte der braunhaarige Junge, der geglaubt hatte, er hätte den Hintern einer Putzfrau getätschelt.
    Luz sprang auf, sammelte seine Putzfrauenverkleidung auf und ging ans Fenster. Seine langen Finger krallten sich in das Metallgitter.
    Die dunkle Schminke um seine Augen lief über seine Wange herunter wie Tränen aus geronnenem Blut.

XVI
    Die Zweifel waren verschwunden.
    Er hatte es in seinen Augen gelesen und so erkannt, dass er recht hatte. Das Wesen eines Menschen konnte sich selbst nicht widersprechen. Primo Ramondi hatte weder den Lehrer noch den Zahnarzt ermordet. Obwohl es sein Lehrer und sein Zahnarzt war.
    Wie er das beweisen sollte, stand auf einem ganz anderen Blatt. Aber nun waren alle Zweifel aus Amaldis Kopf verschwunden. Der Polizeipräsident, Palermo, der Jesuit hatten ihn an seiner schwächsten Stelle getroffen. Sie hatten von zwei Seiten an den Rändern einer Wunde gezerrt, die sich gerade erst geschlossen hatte. Es brauchte nicht viel, sie wieder aufzureißen, zumindest hatte Amaldi das geglaubt. Stattdessen war die Wunde inzwischen vernarbt. Und er hinkte auch nicht mehr.
    Der Mörder, hinter dem sie her waren, hieß nicht Primo Ramondi.
    Sicher, alle Indizien führten unwiderruflich zu ihm. Und es waren zu viele, als dass es sich um rein zufällige Verbindungen handeln konnte.
    Jemand hatte das ganz bewusst so arrangiert.
    Und zwar war dieser Jemand der Mörder.
    Amaldi wusste allerdings noch nicht warum. Vielleicht würde er es auch nie herausbekommen. Und vielleicht würde er nie erfahren, ob die beiden Opfer nur sterben mussten, um Primo Ramondi zu belasten, oder ob es noch andere Gründe für ihren Tod gab. Vielleicht würden sie nicht einmal den Mörder fassen. Seine Zweifel jedoch waren verschwunden.
    Amaldi lief rasch durch die dreckigen Gassen jener Altstadt, die ihm nun keine Angst mehr einjagte; er würde nie wieder ihr Gefangener sein. Ganz hinten in der letzten Straße bog er rechts ab. Die Molen links von ihm lagen verlassen da, es war spät in der Nacht.
    Seine engsten Mitarbeiter erwarteten ihn.
    Fünfzig Meter weiter sah er ein schwaches bläuliches Licht. Das Schild des Polizeireviers.
    Ein heruntergekommenes Gebäude, ein alter Palazzo, der früher einmal Sitz einer Handelsgesellschaft gewesen war. Als man ihn vor vielen Jahren renoviert hatte, hatte man ursprünglich versucht, dabei zu gleichen Teilen die ehemalige Struktur des Hauses und seine neue Verwaltungsaufgabe zu berücksichtigen, ohne sich jedoch klar entscheiden zu können, was den Vorrang haben sollte. Schließlich war daraus ein Fremdkörper im Herzen der Altstadt geworden, der nie dazugehören würde. Die Zeit hatte das Unvermögen des Architekten ein wenig ausgeglichen, sie hatte an den Mauern genagt und Risse hineingeschlagen, die Farben verblassen lassen und die Silhouette gerundet. Aus sturen männlichen Kanten wurden weiche, nachgiebige weibliche Kurven. Die kalte Feuchtigkeit, die von den Hafenmolen aufstieg,

Weitere Kostenlose Bücher