Inkubus
lagen auf ihm, wie damals.
»Willst du mir etwas erzählen?«
»Nein …«
Diese starken Hände.
»Willst du es nicht loswerden?«
»Nein …«
Luz schwieg mit geschlossenen Augen und lauschte auf Ferrantes Herzschlag, der regelmäßig in seinem Rücken pochte. Wie sein eigenes Herz.
In jener Nacht war er ihm gefolgt. Wie er es seit langem tat, seit er ihn wiedergefunden hatte. Immer im Schatten verborgen, ohne sich zu erkennen zu geben. Er konnte ihn stundenlang beobachten. Und mit jeder Minute spürte er, wie die Liebe aus vergangenen Tagen wieder zum Leben erwachte, stärker, wahrhaftiger wurde. Diese Liebe, die niemals aufgehört hatte. Diese unglaublich große Liebe, die sein größter Schatz war, der einzige, den er besaß. Ein Schatz, den er an sich presste, seit er ein kleiner Junge war. Die reine Liebe, die ihn am Leben erhielt.
In jener Nacht hatte er sich zu erkennen gegeben, weil er etwas erkannt hatte. Er hatte die Schwingen des Todes gesehen. Und da war er aus dem Schatten hervorgetreten.
»Wir sind jetzt allein«, sagte er zu seinem Ferrante. »Jetzt gibt es nur noch uns beide.«
Palermo erhob sich unvermittelt aus dem Bett und begann sich anzuziehen.
Er erinnerte sich an die Nacht, in der er Luz wiedergefunden hatte. Er hatte ihn an den Haaren gepackt, um ihn von sich wegzuziehen. Doch dann hielt er plötzlich die Perücke in der Hand, wie einen Skalp. Und als er die Narbe bemerkte, begriff er auf einmal, dass er nicht sterben, nicht von dieser Brücke ins Wasser springen würde. Nicht in dieser Nacht.
Nicht solange er Luz an seiner Seite haben konnte.
»Ich muss gehen«, sagte Palermo in die Dunkelheit des Zimmers hinein.
»Ich habe zunächst nichts gefunden, weil damals vor fünfzehn Jahren, als mit der Bebauung dieser Gegend begonnen wurde, die Gemeindeverwaltung das neue Viertel eigentlich La Rocca genannt hatte …«, begann Max, der sichtlich aufgeregt war, seinen Bericht. »Dann wurden die Bauarbeiten wegen eines Bestechungsskandals unterbrochen. Erst vor sechs Monaten hat die neue Verwaltung die Mittel für die Fertigstellung des Bauvorhabens bereitgestellt und beschlossen, die Gegend nun L’Avamposto zu nennen …«
»Der Fels, der Vorposten, was für herrlich beknackte Namen …«, kommentierte Frese.
»Fahr fort«, sagte Amaldi.
»Na ja, natürlich konnte ich unter dem Stichwort Avamposto nichts finden … da man auch die Straßen umbenannt hatte …«, fuhr Max fort. Vor ihm lag ein ganzer Stoß Ausdrucke und Dokumente. »Gestern bin ich bei der Gemeindeverwaltung gewesen und habe mir die topografischen Karten angeschaut … Von da an war alles wesentlich leichter.«
»Gut, also was haben wir?«, fragte Amaldi.
»Vor zwölf Jahren …«, begann Max, »hat sich in einem Kellerraum in La Rocca … das Gelände war damals seit beinahe drei Jahren verlassen … eine blutige Tragödie ereignet. Zunächst sah es ja danach aus, als wäre der Mord an Garcovich nur rein zufällig dort, am gleichen Ort eines früheren Blutbads, begangen worden …«
»Und stattdessen?«, drängte Frese.
»Stattdessen habe ich die Protokolle der Ermittlungen ausfindig machen können.« Max legte lächelnd eine Hand auf den Stoß mit den Dokumenten. »Der Fall war als ungelöst zu den Akten gelegt worden … ich muss all das hier noch sorgfältig durcharbeiten … aber da gibt es eine merkwürdige Übereinstimmung …« Max schaute zuerst Amaldi an, dann Frese. »Ispettore Capo Palermo hat damals die Tat als Erster gemeldet. Er hat die Leichen entdeckt und die Polizei alarmiert … Die Ermittlungen wurden dann der Mordkommission übergeben, einem gewissen Commissario …« Max suchte in seinen Notizen nach dem Namen.
»Longanesi«, ergänzte Amaldi. »Ja, jetzt erinnere ich mich dunkel … Um was ging es da noch einmal? Eine Abrechnung im Milieu … Prostitution?«
»Vier Opfer«, meinte Max. »Man ging davon aus, dass es sich tatsächlich um eine Abrechnung unter rivalisierenden Banden handelte, die Jugendliche zur Prostitution zwangen. Etwas mit Pädophilie … und Missbrauch von Minderjährigen … Am Tatort wurde eine Videokamera gefunden, aber die Kassette fehlte, die hatte jemand mitgenommen … Aber am interessantesten ist meiner Meinung nach, dass Palermo zu dieser Zeit eigentlich vom Dienst suspendiert war.«
»Und was hat er dann dort gemacht?«, fragte Frese.
»Ich habe dir doch gesagt, ich muss all das hier noch einmal ordentlich durchgehen …«, entgegnete Max. »Aber soweit ich
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