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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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verstanden habe, hatte er gesagt, er sei rein zufällig dort vorbeigekommen.«
    »Zufällig dort vorbeigekommen …«, murmelte Amaldi abwesend.
    »Die Tatwaffe … Kaliber neun … wurde niemals gefunden«, fuhr Max fort. »Vier Tote, alles Erwachsene. Einziger Überlebender war ein Junge, der verwundet worden war und den der oder die Täter wahrscheinlich für tot gehalten hatten. Der Junge hatte eine Kopfverletzung und war bewusstlos, als die Beamten ihn fanden. Als er im Krankenhaus wieder zu sich kam, war er verwirrt. Er erinnerte sich an nichts mehr. Amnesie infolge eines Traumas …«
    Max schaute in den Garten, wo die Kinder hinter seiner Katze herliefen.
    »Die medizinischen Untersuchungen ergaben eindeutig, dass er wiederholt missbraucht worden war …«
    Die enge Schlinge am straff gespannten Seil schnitt ihm in die Kehle. Jedes Mal, wenn er die Fersen auf den Boden absenkte, schnürte sie ihm die Luft ab. Wollte er nicht ersticken, musste er auf Zehenspitzen stehen bleiben.
    Ihn fror. Er war nackt.
    Auf die Schreie hin drehte er sich um und sah einen Flammenblitz, hörte einen Schuss. Und noch einen.
    Der Lehrer fiel als Erster, mit weit aufgerissenen Augen, offen stehendem Mund, eine Hand an der Kehle, während sich auf seiner Brust eine pochende, rote Blüte ausbreitete.
    Dann drei weitere Schüsse.
    Als Zweiter fiel der Doktor. Er sackte über ihm zusammen.
    Dann hörte er eine flehende Bitte, auf die ein einziger Schuss folgte.
    Als Dritter fiel der Sozialarbeiter. Er brach über der Videokamera zusammen, mit der sie alles gefilmt hatten. Der Scheinwerfer verlosch zischend am Boden. Der Junge erkannte, dass das Geschoss in den Hinterkopf des Sozialarbeiters eingedrungen und vorne wieder ausgetreten war, wo es ihm das Gesicht zerfetzt hatte. Bevor der Scheinwerfer in einem hellen Blitz seinen Geist aufgegeben hatte, beleuchtete er eine weiß-rote Kugel, die auf dem Boden, außerhalb ihrer Höhle lag und an einer langen Schnur hing. In der Mitte der Kugel konnte man immer noch die kastanienbraune Iris des Sozialarbeiters erkennen, die ihn anstarrte. Die ihn, Luz, den neunjährigen Jungen mit der Schlinge um den Hals, in einem fort gierig anstarrte. Wie er nackt und vom Blut des Lehrers und des Doktors überströmt dalag.
    Palermo hatte sich plötzlich aus dem Bett erhoben und begann sich anzuziehen.
    »Ich muss gehen«, hatte er gesagt.
    »Warte …«, sagte Luz leise in die Dunkelheit des Zimmers hinein.
    Der Mörder antwortete nicht. Der Held schloss die Tür. Diese reine Liebe aus Licht war vergangen.
    Luz machte die Augen zu, zog sich die Decken über den Kopf und sog dort im Bett den Duft seines Geliebten ein.

XVIII
    Ein Anruf hatte genügt, um es herauszufinden. Eine einfache Nachfrage, und man hatte ihm gesagt, dass der Sozialarbeiter erst in acht Tagen wieder erreichbar wäre, weil er eine Woche Urlaub hatte. »Ab heute«, hatte die Ordensschwester bei der »Förderanstalt für sozial benachteiligte Kinder« noch hinzugefügt.
    Dieser Sozialarbeiter hieß Serse Carboni.
    Der Junge wartete in der Garage.
    Serse Carboni, der dritte Gast, hatte ihn zu sich nach Hause eingeladen.
    »Eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs … sieben … acht … und neun«, sagte er ganz leise, während er in dem Lieferwagen saß, und an seinen Fingern abzählte, wie alt er war. »Eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs … sieben … acht … und neun«, zählte er immer und immer wieder, und es klang wie ein Lied, wie ein Wiegenlied. »Eins … zwei … drei … vier … fünf … sechs … sieben … acht … und neun«, als betete er einen Rosenkranz herunter. Als gäbe es nichts darüber hinaus. Als enthielten diese neun kleinen Zahlen die ganze Welt.
    Der Junge wartete in der Garage hinter einer Betonsäule. Er hatte das Motorrad des Sozialarbeiters im Blick, das genau in der Mitte des zur Wohnung gehörigen Stellplatzes parkte. Nummer 23-V/B, das bedeutete Appartement 23, fünfter Stock, Treppenaufgang B.
    Serse Carboni hatte seinen Stellplatz nach seinen Bedürfnissen aufgerüstet: In der Wand hatte er einen mit zwei Vorhängeschlössern gesicherten Metallschrank verankert, in dem er folgende Gegenstände aufbewahrte: regenabweisende Kleidung mit neongelben Reflektorstreifen auf Brust, Rücken, Armen und Beinen, am Handgelenk und an den Knöcheln; zwei schwarze Integralhelme mit einem lächerlichen Adler mit ausgebreiteten Schwingen darauf; einen Zehn-Liter-Kanister Benzin und drei

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