Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
in Jackett und Krawatte – sie hatte dem Zahnarzt gehört –, der zuvor aus dem Lieferwagen gestiegen war, gar nicht bemerkt. Der Junge war schnell zur Brandschutztür geeilt, hatte sie geöffnet und leise zufallen lassen. Dann war er zum Aufzug für Treppenaufgang B gegangen. Er drückte den Knopf für das fünfte Stockwerk, wobei er es vermied, sich selbst im Spiegel anzuschauen. Aus seiner Jackentasche ragte ein schwarzer harter Knüppel hervor, in der Hand hatte er eine Tüte mit Kirschen. Zwei davon hatte er bereits im Mund und spuckte nun die Kerne auf den Boden. Als der Aufzug das Stockwerk erreicht hatte, ging der Junge den engen, dunklen Flur des Wohnhauses entlang, hielt vor der Tür mit der Nummer 23, schob den dünnen Dietrich ins Schloss und öffnete es in weniger als zehn Sekunden. Im Mund hatte er eine dritte Kirsche und machte sich ein Spiel daraus, den Kern genau auf Carbonis Fußabtreter zu spucken.
    Die einzigen Spiele, die er sonst kannte, waren die grausamen Spiele der Erwachsenen.
    Die Wohnung war nicht aufgeräumt, aber das störte den Jungen im Moment nicht. In den letzten drei Monaten war er schon mehrmals hierhergekommen, wenn Carboni bei der Arbeit war. Er hatte sich auf sein Bett gelegt, hatte in den Schubladen gewühlt, den Fernseher eingeschaltet, an den Lebensmitteln im Kühlschrank gerochen und an dem aufdringlichen Rasierwasser im Bad. Er hatte über die Poster an den Wänden, die ausschließlich Bilder von Bikern zeigten, gelacht, und ein kaum sichtbares Zeichen an dem Riesenposter angebracht, das das Wohnzimmer beherrschte: eine Vergrößerung des Fotos, das er in dem Metallschrank in der Garage entdeckt hatte.
    Er war mit einer Klinge über Serse Carbonis Kehle gefahren.
    Der Junge packte den Knüppel und versteckte sich hinter dem Vorhang vor der Abstellkammer, über den Wäschestapel lächelnd, der nun vergebens darauf wartete, vom geblümten Sofa in die beiden Satteltaschen zu wandern. Die Tüte mit den Kirschen lag jetzt neben den Kleidern.
    Mit diesen kleinen Spielchen lenkte er sich von den hässlichen Gedanken ab.
    Als er kurz darauf das Drehen eines Schlüssels im Schloss hörte, spürte der Junge, wie das Adrenalin in seine Adern strömte, und alle Müdigkeit und Zweifel waren verschwunden.
    Jetzt war er nur noch der Jäger, der Richter, der Rächer. Der leidenschaftliche Liebhaber.
    Aus seinem Versteck beobachtete der Junge, wie Carboni hereinkam und die Satteltaschen neben das Sofa auf der mit Brandlöchern übersäten Kokosmatte abstellte. Er hörte, wie der Sozialarbeiter in die Küche ging, aus der es nach schmutzigem Geschirr stank, dort klirrend eine Flasche aus dem Kühlschrank holte und sie öffnete.
    Mit der Bierflasche in der Hand kehrte Carboni ins Wohnzimmer zurück. Er nahm ein paar lange Schlucke und rülpste laut, während er die Flasche auf den Couchtisch in der Mitte des Raumes abstellte. Er öffnete den Reißverschluss seines Motorradoveralls und fuhr sich darunter mit einer Hand prüfend bis zur Leiste. Befriedigt zog er danach den Reißverschluss wieder hoch, ging vor dem Sofa in die Knie und öffnete eine der Satteltaschen. Er wollte gerade den ersten Stapel Wäsche vom Sofa nehmen, als ihm die braune Papiertüte auffiel. Er nahm sie in die Hand und schaute hinein. Erstaunt kratzte er sich am Kopf und nahm dann nachdenklich noch einen Schluck aus der Bierflasche vom Couchtisch.
    Der Junge beobachtete ihn und studierte seinen dümmlichen Gesichtsausdruck. In diesem Blick würde er niemals das Licht finden. In diesen Augen lag nur Wut, Frustration, Neid, sie waren von ihrer eigenen Dummheit vergiftet.
    Carboni holte eine Kirsche aus der braunen Papiertüte und drehte sie nachdenklich zwischen seinen Fingern, bevor er sie in die Tüte zurückwarf. Dann nahm er doch einen Stoß Wäsche vom Sofa und wollte ihn gerade in die offene Satteltasche packen, als er bemerkte, dass sie nicht leer war. Er warf die Wäsche aufs Sofa zurück, wobei der Stapel durcheinanderfiel, und untersuchte den Inhalt der Satteltasche. Eine in Plastik eingeschweißte Rolle Draht. Metallicgraues Klebeband. Ein etwa zehn Zentimeter langer Keil aus hellem Holz. Der Sozialarbeiter betrachtete diesen eingehend und fuhr mit den Fingern über die kleinen Einkerbungen, die wie Zahnabdrücke aussahen.
    Der Junge beobachtete ihn, schätzte ab, wie lange er wohl brauchen würde.
    Der Sozialarbeiter ließ den Keil fallen, erhob sich und lief nun mit der Bierflasche in der Hand aufgeregt im

Weitere Kostenlose Bücher