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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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diese Dunkelheit ihn blenden könnte.
    »Wusstest du von Anfang an, dass es nicht Primo Ramondi war?«, fragte er ihn.
    »Ich möchte dich nicht verprügeln, Amaldi. Hau einfach ab«, sagte Palermo tonlos.
    Amaldi gab dem Barmann ein Zeichen, ihm etwas zu trinken zu bringen. Der muskulöse junge Mann im weißen ärmellosen T-Shirt stellte ein gefülltes Glas vor ihn hin. Amaldi rührte es nicht an.
    »Was ist vor zwölf Jahren in diesem Kellerraum passiert?«, fragte er stattdessen.
    Wieder bemerkte er dieses dunkle schmerzliche Licht in Palermos Augen.
    »Amaldi, hau ab«, sagte Palermo wütend, aber erschöpft.
    »Der Mörder geht hier im Dover Beach ein und aus, das weißt du ganz genau, denn das hat dir der Besitzer des Wagens gesagt, der beim ersten Mord zum Einsatz kam.«
    »Hast du einen Haftbefehl? Beschuldigst du mich irgendeines Vergehens?«
    Amaldi spielte mit dem Glas. Etwas von der bernsteinfarbenen Flüssigkeit schwappte über den Rand und bildete eine Pfütze auf dem Tresen.
    »Ich weiß, was du fühlst …«, sagte Amaldi leise. »Ich weiß, was du gefühlt hast …«
    »Leck mich doch, verfluchter Mistkerl …«
    »Ich war sechzehn Jahre alt …«, sagte Amaldi angespannt, die Adern an seinem Hals waren geschwollen. »Ich habe sie in einer Gasse gefunden. Sie war meine Freundin … Und sie lag zerstückelt da, weggeworfen wie ein Sack Müll … Ich selbst habe sie gefunden. Ich weiß, was es heißt, eine Mission zu haben …«
    Ein trauriges Lächeln huschte über Palermos hartes Gesicht. »Es ist schlimmer, wenn sie sie nicht umbringen, Amaldi«, sagte er leise und pochte mit dem Zeigefinger auf die Holzplatte. »Sie sind wie Tiere ohne Pfoten, die man irgendwo liegen lässt, damit sie verbluten … Sie sind wie Vögel, denen man die Flügel ausgerissen hat …« Er trank einen Schluck. »Nein, das weißt nicht einmal du«, sagte er und schüttelte den Kopf. »Und jetzt scher dich zum Teufel, Commissario …« Mit diesen Worten stand er auf und winkte einem jungen Mann in Frauenkleidern. »Ich habe zu tun …«, sagte er im Gehen.
    Amaldi sah, wie Palermo den jungen Transvestiten unterhakte und die Toiletten des Dover Beach ansteuerte.
    Palermo hatte in jener Nacht vor zwölf Jahren alle Spuren am Tatort beseitigt, die zu ihm führen konnten, hatte die Pistole entsorgt und dann die Polizei gerufen. Er hatte auf die erste Streife gewartet und sich vergewissert, dass Luz in einem Krankenwagen fortgebracht wurde.
    »Willst du es tun?«, hatte der Junge ihn gefragt, als er ihm gesagt hatte, dass er sich hinlegen solle. Und ihn dabei mit diesen kindlich unreifen und doch so alten erfahrenen Augen angesehen.
    Palermo hatte lange genug gewartet, um zu hören, wie sich die Sirene des Krankenwagens im Lärm der Stadt verlor. Dann war er in seinen Wagen gestiegen und ziellos durch die Gegend gefahren.
    Er war in den Polizeidienst getreten, weil er das Bedürfnis nach einer Welt mit festen Regeln hatte und weil er ein Ideal von Gerechtigkeit verfolgte, das erschüttert worden war, als er bei seiner Mutter wegen seiner Homosexualität auf Ablehnung gestoßen war. Sie hatte ihn verunsichert und enttäuscht, hatte seine Welt ins Wanken gebracht und auf traumatische Art und Weise seine natürliche sexuelle Entwicklung unterbrochen. Mit ihrer Ablehnung war ein unwiderrufliches Urteil über ihn gesprochen, das Strafe nach sich zog. Seine Begierden und seine Schuldgefühle zerrten von zwei entgegengesetzten Enden an ihm, und beide verlangten Opfer von ihm, die für sein jugendliches Alter zu groß waren. Gab er dem einen nach, verriet er die mütterlichen Erwartungen, andernfalls verriet er sich selbst. Als er in den Polizeidienst trat, hatte er begriffen, dass er immer Angst vor Erwachsenen und ihrer Gewalt, vor ihrem Schweigen, ihrer Ablehnung gehabt hatte. Palermo fiel es von Natur aus schwer, emotionale Bindungen einzugehen. So hatte er sich kopfüber in die Arbeit gestürzt, in der er einen Ausgleich zu seinem unbewältigten Gefühlschaos suchte. Und in der Arbeit hatte er das ideale Mittel gefunden, um sich von dem Kampf in seinem Inneren abzulenken und ihn auf unbestimmte Zeit zu verschieben. Mit achtunddreißig Jahren zog sein Privatleben langsam an ihm vorbei, als humpelte es, und Palermo schaute sich seine Tage und Nächte an wie jemand, der Schwierigkeiten hatte, deutlich zu sehen, aber auch nicht gerade neugierig darauf war. Er hatte sehr wenige sexuelle Erfahrungen hinter sich, ein paar halbherzige

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