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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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schlug ihm bis zum Hals und er hatte die Augen fest zusammengekniffen, damit er nicht weinte. Er war diesem hässlichen, lächerlichen Jungen gehorsam ins Bad gefolgt. Hatte zugelassen, dass er seine Narbe berührte, seinen Schatz. Seinen unendlich wertvollen Schatz. Die fühlbare Spur des Mannes aus Licht, der ihn gerettet hatte.
    Wenn er sicher war, dass ihn niemand beobachtete, strich Luz mit den Fingerkuppen über die harten Ränder dieses ihm so kostbaren Mals und sagte sich: »Es ist wahr. Du hast es nicht geträumt. Es ist wirklich wahr«, und dann wusste er, dass er nicht allein war. Wusste, dass er von einem Mann geliebt wurde, der sein ganzes Licht für ihn hingegeben hatte. Dass jemand – der den wundervollen Namen Ferrante trug – seine Existenz für ihn geopfert hatte. Er hatte ihn reingewaschen, von den schrecklichen Sünden eines schmutzigen Kindes geläutert.
    Er hatte zugelassen, dass Primo Ramondi ihm die Narbe aufschnitt, weil er noch einmal die düstere, liebende Qual jener Nacht spüren wollte. Hatte die Augen geschlossen, sich willenlos diesem hässlichen Jungen überlassen und dabei von Ferrante und seiner Pistole geträumt.
    »Du hast ja kein Blut …«, hatte Primo Ramondi gesagt.
    Luz hatte sich umgewandt und ihn angesehen. Als er bemerkte, dass es nicht Ferrantes Stimme war, war eine tiefe Traurigkeit über ihn gekommen, und noch einmal war seine ganze Geschichte an seinem inneren Auge vorübergezogen.
    Der Junge hatte ihm den Kopf brutal zur Seite gedreht und die Klinge tief in die Haut hineingerammt.
    »Das wird jetzt wehtun … aber es ist zu deinem Besten«, hatte Ferrantes Stimme gesagt.
    Luz fühlte einen heftigen Stich, der ihm den Atem raubte, und dann hatte er die Tropfen gespürt. Blut. Er hatte sich umgedreht und Ferrante gesehen, der ihn anlächelte. Da hatte er sich die Hand an die klaffende Wunde gelegt, um sich zu vergewissern, dass er nicht träumte, und hatte das Blut über sein Gesicht verteilt, damit Ferrante es ihm abwaschen konnte.
    »Willst du mich küssen?«, hatte Luz Ferrante gefragt, denn er wollte ihm das Licht zurückgeben, das er in seinem kleinen Körper bewahrte. »Willst du es tun?«, hatte er Ferrante gefragt, weil er ganz ihm gehörte wie das Licht, das er in sich bewahrte.
    Und Ferrante hatte genickt. Hatte ihn mit seinen starken Händen gepackt, und sie hatten miteinander gerungen, um eins zu werden. Sie beide verschmolzen zu einer Einheit aus Licht.
    In jener Nacht hatte Luz die Gefühle der Erwachsenen zum ersten Mal nachvollziehen können. Während er mit Ferrante rang, spürte er ein erregendes Gefühl zwischen den Beinen und seine erste Erektion hatte ihn überrascht. War das also die Liebe der Erwachsenen, hatte er sich gefragt, während er zitterte, aufgewühlt von der erwachsensten seiner unreifen Leidenschaften. Und während er sich diese Frage mit Ja beantwortete und sich seiner ersten Lust hingab, hatte er die Augen geöffnet und sich in Primo Ramondi verliebt. Sich in seinen Körper, in diesen hässlichen Jungen verliebt, der ihn schlug. Der ihn zurückwies.
    Nun hatte Primo Ramondi seine Strafe bekommen. Luz hatte dafür gesorgt, dass er für diese Zurückweisung von damals büßen musste. Für diesen Betrug.
    Doch selbst nach so vielen Jahren legte sich Luz manchmal nackt auf den weißen Kachelboden und zitterte bei dem Gedanken an die Klinge, die in seinen Kopf schnitt.
    Luz erschauerte, er saß allein auf der Terrasse, vor sich die dunkle Nacht.
    Was hatte Ferrante an jenem Morgen vor drei Tagen gesehen, dass er ihn verlassen musste? Das schmutzige Kind, das er war?
    »Ich tue es für dich …«, flüsterte er in die Dunkelheit hinaus. »Ich befreie dich von der Last meiner Sünden …«
    »Kann die Lösung wirklich so einfach sein?«, fragte sich Amaldi laut.
    Max und Frese, beide standen vor seinem Schreibtisch, sahen einander an.
    »Begreift ihr denn nicht?«, fuhr Amaldi fort. »Es passt alles zusammen.«
    Frese setzte sich.
    »Unser Mann … ist ein Kind«, sagte Amaldi.
    »Dejan Kreutzer?«, fragte Max und nahm neben Frese Platz.
    »Es gibt eine Verbindung zu Primo Ramondi«, erklärte Amaldi. »Beide waren zur selben Zeit in dieser ›Förderanstalt für sozial benachteiligte Kinder‹ …«, Amaldi überprüfte die vielen Daten, die er auf einem Blatt geordnet und in Bezug zueinander gesetzt hatte, »und zwar sieben Monate lang … bis Primo Ramondi ausgerissen ist. In der Nacht, als er verschwand … ja, da haben wir es …«,

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