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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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gestellte, schreckliche Falle. Und dann wurde er zur Beute dieser Albträume. Denn die Albträume hatten ständig Hunger, einen unersättlichen Appetit. Nur wenn er unter Menschen, wenn er unter Kindern war, hatte er noch nie einen Albtraum gehabt. Dabei spielte es keine Rolle, ob es normale Kinder waren oder solche, die so waren wie er. Diese besondere Kaste der Kinder. Jener Kinder, die Albträume hatten.
    Das war der Grund, warum er so gern unter Menschen war. Um die Albträume von sich fernzuhalten. Manchmal konnten Erwachsene allerdings gemein und grausam sein. Dann fühlte sich der Junge wie ihr Opfer. Aber das war dann anders, nicht so wie in den Albträumen. Bei den Erwachsenen blieb ihm wenigstens eine Möglichkeit zu gewinnen. Die Gefahr zu wittern, eine Falle rechtzeitig zu erkennen, einem Anschlag zu entkommen oder einem Hinterhalt zu entgehen. Wenn er unter Leuten war, hatte er zumindest eine Chance, das genügte, denn es war immerhin mehr, als ihm in der Welt der Albträume blieb.
    Der Junge kauerte sich unter den Laken zusammen, in seinem dunklen Versteck, seiner Höhle. Vielleicht hatte er wieder Fieber, dieses neue Fieber, das er erst vor kurzem kennen gelernt hatte. Das kam und ging und ihn durchschüttelte. Danach fühlte er sich stark und lebendig. Und dann wieder schwach und verängstigt, jedoch lebendiger, als er sich jemals im Leben gefühlt hatte. Ängstlicher, als er jemals gewesen war. Es ließ ihn extreme Höhen und Tiefen durchleben. Wie eine riesige warme Flutwelle, die den Jungen auf unerforschte Strände warf und ihn, wenn sie sich wieder zurückzog, mit sich in die eiskalte Tiefe riss, aus der sie aufgestiegen war. Ein Fieber, das ihn lehrte, seine eigene zerstörerische Wut und sein Gesetz zu erkennen, indem es ihn seine eigenen Erinnerungen noch einmal durchleben ließ – sofern man bei einem Kind überhaupt von Erinnerungen sprechen konnte –, die neue, in seinen Augen lebendigere Formen annahmen. Wahrhaftiger wurden, Schuldgefühle, die die schändlichen Sünden eines unreinen Kindes fortwuschen. Ein Fieber, das durch seine Kraft Sünde mit Tugend vermischte, sogar Laster in Reinheit, Perversion in Unschuld verwandeln konnte. Weiß in Rot.
    Der Junge konnte sich unter den völlig durchnässten Laken nicht rühren. Sie klebten schwer an seinem Körper. Wenn er sich bewegte, würde all dieses Blut auf die Erde tropfen. Denn der Junge war über und über mit Blut bedeckt. Er hatte Blut in den Haaren, zwischen den Fingern, auf seinem zarten, zerbrechlich wirkenden Körper. Er spürte das Blut auf den Lidern. Doch es gab keine Hände, die ihn säubern, die die klebrige, schmutzige Sünde und Schuld von ihm abwaschen konnten. Es war seine Schuld gewesen, das wusste er. Er hatte sie angelächelt. Deswegen war alles geschehen. Vielleicht hatte er sie irgendwann angelächelt. Vielleicht hatte er schmutzige Sachen zu ihnen gesagt. Oder vielleicht hatte es auch schon genügt, sich diese schmutzigen Sachen auszudenken oder nur vorzustellen. Er war über und über mit Blut bedeckt, das bald erkalten und hart werden würde. Hart wie eine Kruste, ein roter Kokon, in dem er schlafen konnte. Ein Schutzpanzer. Ein Gewand. Eine Rüstung. Eine Uniform. Das Erkennungszeichen der Kinder, die Albträume hatten.
    Der Junge versuchte, ein Auge zu öffnen. Ja. Er hatte recht. Das Blut begann zu erstarren.
    Bald würde er aufstehen können. Und aus der dunklen Höhle hervorkriechen.
    »Das Licht …«, sagte der Junge leise in der Dunkelheit, die allmählich heller wurde. »Das Licht ist verloren gegangen. Du bist der Wächter. Du bist der Diener. Du hast kein Recht, schwach zu sein, denn du bist ein Nichts. Du bist nur das Gefäß. Du bist der Schoß, der nichts hervorbringt, du bist der Stall. Du bist die Dunkelheit, die dem Licht dient.«
    Bald würde er aufstehen, sich unter die Leute mischen können. Der Albtraum verlor an Kraft. Das Fieber verging. Bald würde er den Menschen wieder in die Augen sehen können, den Erwachsenen. Der Junge kannte Hunderte. Einer von ihnen, nur ein einziger bestand aus reinem klaren Licht. Einige wenige waren dunkel und furchtbar wie die Nacht. Viele waren grau. Die Mehrheit. Die Wächter des Schattens.
    Der Junge hatte auch einen getroffen, der rot war. Der eine Wunde hatte, die blutete wie seine eigene. Eine Schwäche und einen Schmerz in sich trug wie er selbst. Sie sahen nur anders aus. Steckten in einem anderen Körper.
    Der Albtraum verschwand so plötzlich, wie er

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