Inkubus
gekommen war, blitzschnell, ohne Vorankündigung.
Die Laken waren wieder trocken.
Nicht ein Tropfen Blut war auf die Erde geflossen.
Der Junge setzte sich auf.
Er schaute sich um. Tastete sich ab. Kontrollierte die verborgensten Regionen seines Körpers.
Nicht ein Fleck auf seinem zerbrechlichen nackten Leib.
Das Blut zog sich in das verschlungene Labyrinth seiner Fantasie zurück.
Der junge Streifenbeamte wusste nicht, wie er sich verhalten sollte. Er bewegte sich unbeholfen durch die elende Wohnung, eine Hand immer auf dem Funkgerät, als ob er jeden Moment eine Nachricht erwartete. So versuchte er, seine Verlegenheit zu überspielen und selbstsicherer zu wirken.
Er war auf die Frau aufmerksam geworden, als sie sich durch die stinkende Gosse zur Eingangstür ihrer Wohnung im Erdgeschoss schleppte und sich dabei an der Mauer des alten Wohnhauses abstützte, von der der Putz abbröckelte. Er war ihr zu Hilfe geeilt. Allerdings nicht wie ein Polizist in Ausübung seiner Pflicht, das wurde ihm klar, als er noch einmal über ihre Begegnung nachdachte und die Szene erneut durchlebte, die sich gerade erst abgespielt hatte. Er war ihr zu Hilfe geeilt wie ein Junge, der erst seit kurzem erwachsen, erst seit kurzem Polizist war. Er war auf dem Land aufgewachsen und kannte es gar nicht anders, als dass man einander half. Dann hatte man ihn an die vorderste Front geschickt, in die Altstadt, in den »Käfig«, wo er keine Freunde finden würde, wo jeder eine mögliche Gefahr darstellte, wo man weder Schwächen noch menschliche Regungen zeigen durfte. Zumindest hatten ihm das die Kollegen von der Sitte geraten.
Nun lag die Frau auf dem Bett in diesem rot gestrichenen Zimmer, wo es nach Schimmel, abgestandener Luft und Geschlechtsverkehr roch. Unten auf dem Boden lagen Pornozeitschriften. Einige davon waren mit Blut beschmiert. Sie stöhnte. Man hatte sie übel zugerichtet. Zwei andere Frauen wuschen ihr das Blut ab. Und der junge Streifenbeamte fragte sich, warum er keinen Krankenwagen angefordert hatte. Warum hatte er sich dem Wunsch der Frau gefügt, die ihn mit ihren zerschlagenen, aufgeplatzten und verquollenen Lippen gebeten hatte, es auf keinen Fall zu tun? Schließlich war er der Polizist. Und er traf hier die Entscheidungen, nicht diese Prostituierte. Als er ins Zimmer zurückkehrte, sahen ihn die beiden Frauen, die sich um die Verletzte kümmerten, misstrauisch an. Dabei hatte doch nicht er sie so zugerichtet, dachte der junge Beamte. Aber das war typisch für die Altstadt – die Regeln, die er im Leben und in der normalen Welt da draußen gelernt hatte, galten hier nicht. Sein Blick fiel auf die nackten Schenkel der Frau. Ihre Strümpfe waren zerrissen, die Strumpfbänder zerfetzt. Rote Strümpfe und rote Strumpfbänder. So rot wie die Knie, die sich die Frau beim Hinfallen aufgeschürft hatte. Als eine der Frauen beiseitetrat, konnte der junge Streifenbeamte auch den Slip der Frau sehen. Er war schwarz. Durchsichtig. Zart wie ein Schleier. Doch darunter erwartete ihn eine Überraschung. Keine buschigen, schwarzen Schamhaare. Die Prostituierte hatte sich die Intimzone rasiert. Er sah nur einen hellen Fleck, in dem sich unter dem schwarzen, durchsichtigen Schleier des Slips blasse Schamlippen abzeichneten.
Als der junge Mann spürte, dass er eine Erektion bekam, wandte er sich abrupt ab und rannte verwirrt zur Tür, um Luft zu schnappen.
Dort wäre er fast mit einem Mann zusammengeprallt, der mit schnellen entschiedenen Schritten angestürmt kam.
»Ispettore Palermo …«, stammelte der junge Mann verlegen. »Sie … ist drinnen …«
Wortlos eilte Palermo an ihm vorbei.
»Sie wollte nicht, dass ich den Krankenwagen rufe …«, fuhr der Streifenbeamte fort, während er ihm zurück in die Wohnung folgte.
Palermo blieb stehen, stützte sich mit einer seiner schwieligen Hände am Türrahmen ab und musterte den jungen Mann mit bohrenden Blicken.
»Und du hast auf sie gehört?«, fragte er sarkastisch.
Der Streifenbeamte wurde rot. Palermo starrte ihn weiter an, ein kaltes, grausames Lächeln auf den Lippen.
»Braver Junge«, sagte er, dann drehte er sich um und betrat das Zimmer. »Und ihr verschwindet jetzt von hier«, herrschte er die beiden Frauen an.
»Siehst du denn nicht, wie schlecht es ihr geht?«, erwiderte eine von ihnen.
Der junge Polizeibeamte bemerkte, dass sie Palermo zwar genauso misstrauisch anschaute wie ihn vorhin, doch ihre Stimme klang längst nicht mehr so selbstsicher.
»Wenn du
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