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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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hindurchschieben würde, sagen wir bis zum ersten Gelenk … also siehst du, das würde sicher ein bisschen wehtun. Aber das hier …«, und damit stach er ihm zum letzten Mal in die Wange, wobei diesmal ein Blutstropfen hervorquoll, »das hier fällt unter Zärtlichkeiten . Du schuldest mir noch Geld, vergiss das nicht«, sagte er, warf die Spritze auf den Boden und zertrat sie. Dann ging er hinaus, ließ die Tür offen stehen und zwinkerte dem Eigentümer des Dover Beach zu, während er das Lokal verließ.
    »Bis heute Nacht, mein Schöner«, rief ihm der nach. Danach wandte sich der Fettwanst dem Fürsten zu, der immer noch auf dem Bidet saß. »Schatz, hast du dir etwa ins Gesicht gepinkelt?«, meinte er und lachte.
    Auch die anderen beiden Männer lachten und nahmen ihre Billardpartie wieder auf.
    Er hatte über Polizeifunk gehört, dass man sie gefunden hatte. Nummer drei. Da hatte er sie längst von der weißen Tafel in der Küche gestrichen.
    Er war zum Fenster gegangen, um nachzusehen, ob sie kommen würden, wie damals vor zwei Monaten. Sieben Stockwerke unter ihm verlief das Leben chaotisch und – oberflächlich betrachtet – unerklärlich. Aber er wusste dieses wüste Knäuel zu entwirren. Er wusste die Zeichen zu lesen, die für die anderen nur sinnloses Gekritzel waren. Er wusste, was diese ameisengroßen Schatten der Peripherie suchten, die dort unten so taten, als wären sie mit Arbeiten und Einkaufen beschäftigt. Sie suchten die Wahrheit. Seine Wahrheit.
    Doch die hütete Primo Ramondi an einem Ort, wo niemand sie finden würde.
    Er schaute wieder nach unten auf die Menschenmenge, in den strömenden Verkehr. Nein, sie kamen nicht. Er hätte sie erkannt. Das Volk der Gerechten, wie sie sich nannten. Sklaven. Verachtenswerte Sklaven des brutalen Mannes, der Jagd auf ihn machte, dieses durch und durch verdorbenen Polizisten. Dieses dreckigen Homosexuellen. Hin und wieder spürte er, dass er ihn verfolgte. Auch letzte Nacht wieder. Im Käfig. Er hatte sich ruckartig umgedreht. Huren. In dieser Stadt gab es nichts als Huren. Dann war er weitergelaufen. Hatte gelauscht. Da war es wieder: Schritte auf dem Pflaster. Ein unverwechselbares Geräusch von Schritten. Er war in eine schmale Gasse eingebogen und hatte sich hinter einer Ecke versteckt. Von dort aus hatte er die Straße beobachtet. Huren. Nichts als Huren im Käfig. Doch er spürte ihn genau. Seinen Geruch. Seinen Atem. Dieser Polizist wollte ihm eine Falle stellen. Er wollte ihm die Wahrheit entreißen, um sie dann der Menge seiner Sklaven zu enthüllen, der Menge der Schatten. Seine Gegenwart erfüllte den Raum um ihn herum, legte sich zuweilen um ihn wie ein Film aus Morast. Klebrig zäh. Wie Fliegenpapier.
    »Aber ich bin nicht so schwach wie eine Fliege«, sagte er und schloss das Fenster. »Ich bin stark. Ich bin stärker als du.«
    »Ich fürchte mich vor nichts«, sagte er sich laut vor. Einmal, zweimal, dreimal. Bis er selbst davon überzeugt war, dass er sich vor nichts fürchtete.
    Vor manchen Dingen ekelte er sich, aber er fürchtete sich nicht vor ihnen. Vögel zum Beispiel. Vögel lösten Ekel bei ihm aus. Die Tatsache, dass sie fliegen konnten, widerte ihn an, drehte ihm den Magen um. Dass sie schmutzig waren und Millionen von Parasiten beherbergten, stieß ihn ab. So sehr, dass er niemals einen Vogel anrühren würde. Diese glatten, leichten Federn mit der harten Spitze, die im Fleisch steckte, widerten ihn an. Ihm wurde übel davon. Allein beim Gedanken daran musste er sich übergeben. Erschauernd kniff er mehrmals die Augen zusammen, bis diese Bilder verschwunden waren.
    Dann konzentrierte er sich auf den kleinen weißen Teller, der in der Mitte des weißen Tisches genau in der Mitte des weißen Zimmers stand.
    Auf dem kleinen Teller lagen drei winzige Partikel. Dunkel am Rand. Heller in der Mitte. Wie ausgewaschen. Rosa. Drei faserige rosa Krümel.
    Er nahm die Lupe und betrachtete sie erneut. Studierte ihre ausgefransten Formen, die immer noch genauso aussahen wie vorhin, als er sie aus seinen Zahnzwischenräumen gepult hatte.
    Er fürchtete sich davor, dass er die Huren demnächst zerstückeln würde, dass er der Versuchung nicht länger widerstehen könnte, sie aufzuessen. Tief in seinem Inneren sagte ihm eine Stimme, wenn er erst einmal eine töten würde, würde er sie auch bestimmt aufessen. Das war die einzige Angst, die sich Primo Ramondi eingestand.
    Aber seit diesem Tag fühlte sie sich anders an.
    Geradezu

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