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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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umgedreht, als hätte er seine Anwesenheit gespürt. Doch er war sich ziemlich sicher, dass er ihn nicht gesehen hatte. Der Doktor lief inmitten der anderen Erwachsenen weiter. Der Junge schlich leichtfüßig und leise an den Hauswänden entlang und folgte ihm.
    Der Doktor war mager. Nicht so fett wie der Lehrer. Seine Schattenwächter. Er war mager, aber auch stark, der Doktor. Er hatte glitzernde funkelnde Instrumente aus verchromtem Metall. Und nach Talkumpuder riechende Latexhandschuhe, die innen glitschig waren und außen kalt wie Schlangenhaut. Mit fettiger Salbe eingeriebene Handschuhe, schmierige Fallen. Der Doktor hatte blaue, leblose Augen, die plötzlich in der Krankenstation aufblitzten, wenn er sich unbeobachtet fühlte. Wenn er wusste, dass ihn niemand sah.
    Und dann schlug er zu. Schnell. Unerwartet. Aus dem Hinterhalt.
    Der Lehrer war fett und träge, stank nach Alkohol und nach Schweiß. Der Doktor war sauber, steril, roch nach Desinfektionsmitteln. Seine schlanken Hände mit den spitzen Fingernägeln bewegten sich schnell und nervös.
    Der Lehrer hatte eine raue, unebene Zunge wie ein fetter Kater. Eine Zunge, die verletzte und ständig die Zähne umkreiste.
    Der Doktor dagegen führte zischelnde Worte im Mund. Worte, die den Jungen förmlich erschlugen, die ihm Hände und Füße lähmten und ihm jede Möglichkeit zur Flucht oder Verteidigung nahmen. Worte so schneidend, so fest wie Draht.
    Der Doktor war gefährlich.
    Deshalb folgte ihm der Junge aus sicherer Entfernung und passte auf, dass er ihn nicht bemerkte. Sein Herz schlug unruhig und schnell, Tränen trübten seinen Blick, sodass er mehr oder weniger wie durch einen dichten Nebel lief, der ihn immer wieder zwang stehen zu bleiben, Atem zu holen. Immer wieder musste er sich an einer bröckelnden Mauer abstützen und versuchen, sein Gleichgewicht, den Weg, die Orientierung zu finden.
    Die Krankenschwester war nur für einen Moment hinausgegangen, um das Thermometer zu holen. Sie hatte die Türe offen gelassen. Das Kind konnte sie hören. Es hörte, wie sich die Schublade in den Laufschienen bewegte, wie die Hände der weiß gekleideten Frau dort etwas suchten. Er hörte sie, während er wie erstarrt mit heruntergelassener kurzer Hose dastand, nur noch in diesem weißen Baumwollslip, der ihm ein wenig zu weit war, vor allem vorne, wo er noch am meisten Kind war.
    »Dreh dich um«, hatte ihm der Doktor zugezischt.
    Und er hatte sich umgedreht. Was hätte er auch tun sollen?
    Er hatte gespürt, wie jemand am Gummiband der Unterhose zog. Er hatte gehört, wie jenseits der geöffneten Tür die Schublade wieder geschlossen wurde und die Schritte der Krankenschwester auf dem Gang zurückkamen.
    Hatte einen Finger gespürt, der sich in ihn bohrte.
    Einen stechenden Schmerz, dann nichts mehr.
    »Zieh dich an«, hatte der Doktor zu ihm gesagt, während die Schwester mit dem Thermometer in der Hand wieder ins Zimmer kam.
    »Basal oder sublingual?«, hatte die Frau gefragt.
    Und jetzt verfolgte der Junge den Doktor. Einen der Schattenwächter. In ihm tobten die Angst und die Erregung von damals. Nach jenem Tag hatte der Doktor kein Wort mehr zu ihm gesagt.
    Nur beim Abschied hatte er ihm leicht über den Nacken gestreichelt.
    »Dein Mädel war ganz schön aufgeregt«, sagte einer der Türsteher des Dover Beach . »Vielleicht hat sie geglaubt, du kommst nicht mehr …«
    »Das ist kein Mädchen«, sagte Palermo mit hartem Blick und steuerte geradewegs auf die Theke zu.
    Luz tanzte auf der Bühne. Er trug ein weiches, rotes Kleid aus glänzendem Satin, dessen herzförmiger, mit durchsichtigem Tüll überzogener Ausschnitt die Brust und die Brustwarzen durchscheinen ließ. Ein zweites Herz gab die Sicht auf den Nabel und die kräftig dunklen Bauchmuskeln frei; es endete knapp oberhalb des Penis, sodass man seine dichte Schambehaarung sehen konnte. Aus dem Publikum ertönten Pfiffe und andere Beifallsbekundungen.
    Palermo bestellte sich etwas zu trinken. Auf Kosten des Hauses natürlich. Wie üblich bei der Polizei. Oder zumindest galt das für ihn im Dover Beach , wo er weder für seine Getränke noch für die Stricher zahlen musste. Der fette Besitzer des Lokals beobachtete das Treiben aus seinem Büro. Als er Palermo sah, kam er heraus, wobei er am Kragen seines üblichen rosafarbenen Hemdes herumnestelte, und setzte sich neben ihn.
    »Ich habe diesen Scheißfetzen so satt. Jedes Mal, wenn ich mich im Spiegel damit sehe, muss ich kotzen«, sagte er,

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