Inkubus
Licht.
Das andere war aus Fleisch und Blut. Zuckendes Fleisch, aus dem Blut hervorquoll. Rotes, klebriges Blut. Wie eine Falle.
Das Licht war der Held. Die Liebe, die Rettung.
Das Blut dagegen strömte heftig sprudelnd und verräterisch durch das Bett der Leidenschaft.
Das Licht war rein und gleißend hell, speiste sich aus makellosen Gedanken.
Das Fleisch dagegen war wie eine unvollkommene, gequälte Masse, in der Schmerz und Lust sich miteinander paarten.
Der Junge wusste, dass zwei Wesen in seiner Brust lebten.
Er beherbergte sie in seinem Inneren.
Wie zwei verschiedene Kinder.
So verschieden, dass sie niemals miteinander spielen konnten.
VII
Giacomo hatte ihr nichts über den Fall erzählt. Giuditta war sicher, dass er dies auch nie tun würde. Und sie war ihm dankbar dafür. Doch die Presse hatte sich auf den spektakulären Mord an einem Lehrer mit einer solchen Begeisterung gestürzt, dass sie ganz sicher war: Das war Giacomos Fall. Der Fall ihres Ritters ohne Fehl und Tadel. Der wieder einmal alles geben und dafür sogar seine geistige Gesundheit aufs Spiel setzen würde. Der wieder einmal den Mut haben würde, sich dem zu stellen, dem sich sonst niemand zu stellen wagte. Der die menschliche Psyche so gründlich erforschen würde, dass er selbst Gefahr lief, nie wieder aus ihren Tiefen aufzutauchen. Wie ein Apnoetaucher würde er die Luft anhalten, gefährlich lange aufhören zu atmen.
In dieser Nacht hatte Giuditta sich schlafend gestellt, um Giacomo die Möglichkeit zu geben, unbeobachtet seine geistigen Flügel auszubreiten und den ersten Ausflug nach seiner Genesung allein, ohne Zuschauer zu unternehmen. Damit er einzig dem Druck seiner eigenen Erwartungen ausgesetzt war. Sie hatte einen regelmäßigen Atem vorgetäuscht, während ihr das Herz vor Erregung bis zum Hals schlug. Sie hielt ihre Augen geschlossen, obwohl es im Zimmer vollkommen dunkel war, obwohl ihr die Dunkelheit dieses ersten Abends allein Angst einjagte und sich mit entsetzlichen Bildern füllte. War regungslos unter der Decke liegen geblieben und hatte so getan, als wäre sie ganz entspannt, während sie am liebsten davongerannt wäre, sich in Giacomos Arme geflüchtet und ihn angefleht hätte, nicht noch einmal die Schrecken des Todes und des Wahnsinns in ihr Heim zu tragen.
Schon am nächsten Morgen konnte sie in Giacomos Blick diese Qual lesen. Diesen Schmerz. Die Bestürzung und die Enttäuschung über etwas vollkommen Absurdes, für das es dem Anschein nach keine logische Erklärung gab. Und in seinen Augen, die sie so liebte, hatte sie die Getriebenheit eines Mannes gelesen, der sich anschickt, ebendiese unerklärlichen Motive für den Hass, für die Geisteskrankheit nachzuvollziehen, als ob es seine eigenen wären.
Erst als sie ihn dabei beobachtete, wie er konzentriert über seine Werkzeuge gebeugt das Piratenlabyrinth reparierte und schwitzte, hatte sie zum ersten Mal wirklich begriffen, was Giacomo in der Vergangenheit durchgemacht hatte. Sie war ja immer nur das Opfer gewesen, der Präparator der Täter. Ihrer beider Rollen waren festgelegt, sie hätten nie tauschen können. Giacomo war jedoch bis zur letzten Konsequenz in die Haut dieses Monsters geschlüpft, um es fassen zu können. Er hatte seinem freundlichen Wesen geradezu Gewalt antun und den Präparator zu einem Teil von sich selbst machen müssen. Er hatte Giuditta gleichsam selbst verschleppen müssen, um zu sehen und zu spüren, was das Monster ihr antun würde, das Wie und Warum. Er hatte nachempfinden müssen, welche perverse Freude das Monster dabei empfand, die Frau zu quälen und zu töten, die er selbst doch liebte.
Giacomo hatte sie getötet. Bevor sie tatsächlich sterben würde. Um sie zu retten. Um sie zu retten, hatte er sie erst quälen und töten müssen.
Giuditta ging zu ihm und umarmte ihn.
»Ich liebe dich«, sagte sie und drückte ihn an sich.
»Was ist denn mit dir los?«, fragte Amaldi und lächelte sie amüsiert an.
Ganz tief in diesem unendlich müden Blick, wie dem eines Fischers, der erschöpft vom Meer zurückkehrt, erkannte Giuditta etwas wie ein fernes Gewitter, das sich nicht über ihrer Welt entladen würde. Giacomo würde es von ihr fernhalten, um sie zu schützen. Und dabei selbst in seinem Inneren ein wenig sterben.
»Ich liebe dich«, wiederholte sie.
Amaldi fasste sie zärtlich bei den Schultern, hielt sie ein wenig von sich weg und musterte sie aufmerksam.
»Hast du Angst?«, fragte er sie.
»Nein«, log
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