Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
Vom Netzwerk:
hatte er zu dem Doktor gesagt, als es acht Uhr morgens war.
    Mit der geballten linken Faust hatte er ihm noch einen heftigen Schlag in den Nacken versetzt. Der Kopf des Doktors war nach vorne gesackt, und seine Blase entleerte sich in einem langen Urinstrahl.
    Der Junge hatte sich ganz ruhig angezogen, während er sich über den kleinen See amüsierte, der sich auf dem hellen porösen Fliesenboden bildete. Er hatte einen trockenen Lappen genommen und auf die Pfütze geworfen. Der Stoff saugte sich mit der gelblichen Flüssigkeit voll. Dann hatte der Junge alle Kleidungsschnipsel in einen Plastiksack gestopft und war gegangen.
    Es war ein ganz normaler Tag. Der Himmel war so weiß wie immer, weiß wie Milch. Tags erhellte ihn keine Sonne, nachts schien kein Mond. Der Junge trug einen Plastiksack in der Hand. Er war eine Viertelstunde gelaufen, bis er in ein Viertel kam, wo ihn niemand kannte. Er hatte eine Gruppe Kinder gesehen, die auf der Straße Ball spielten, sie schossen gegen das Gitter eines noch geschlossenen Geschäftes, das jedes Mal laut dröhnte, wenn der Torwart einen Ball durchließ. Er war näher gekommen. Die Kinder hatten furchtlos zu ihm herübergeschaut. Kinder hatten keine Angst vor ihm. Schließlich war er ein Kind wie sie. Er hatte den Sack dem kleinsten der Gruppe gegeben.
    »Magst du Konfetti?«, hatte er ihn gefragt.
    Das andere Kind hatte strahlend gelächelt, seine kleinen Finger in den Plastiksack gesteckt und dann eine Hand voll Stofffetzen in die Luft geworfen. Ein Windstoß, der plötzlich zwischen den hohen Wohnhäusern durch die Straße fegte, hatte die Konfetti vor sich hergetrieben und in die Höhe gewirbelt. Als er nachließ, waren die daumennagelgroßen Stückchen langsam auf den Asphalt gesunken, wie ein Schwarm toter Schmetterlinge. Das Kind hatte gelacht und den kleinen Jungen angeschaut. Die anderen hatten sich um den Sack geschart, und jeder hatte seine Hand voll Stoffschnipsel von der Kleidung des Doktors hoch in die Luft geworfen. Der Junge hatte sich an dem Spaß beteiligt. Dann hatte er ihnen den Ball zugekickt, seine neuen Freunde waren auf die Straße gelaufen und hatten ihr Spiel wieder aufgenommen.
    Er erinnerte sich daran, dass er auf die Uhr geschaut hatte. Fast halb neun war es gewesen. Er hatte einen Obsthändler gefunden und dort drei große, grüne Äpfel ausgesucht. Harte Äpfel. Er hatte sie sorgfältig ausgewählt, obwohl er sich den Anschein gab, als ob es nicht so wichtig sei. So getan, als interessierte er sich sehr für die Bananen – und die Birnen – und dem Obsthändler so viele Fragen gestellt, bis der beinahe die Geduld verlor. Der Verkäufer sollte ihn nicht als den Jungen in Erinnerung behalten, der grüne Äpfel kauft. Der Apfel würde bald wieder als verbotene Frucht angesehen werden. Zumindest in dieser Stadt. Dann hatte er bei einer Eisenwarenhandlung gehalten und dort fünfzig Meter Wäscheleine aus plastikummanteltem Eisendraht gekauft. Das biegsame Kabel hatte er bereits vor ein paar Tagen in einem Geschäft am anderen Ende der Stadt besorgt. Und die Karabinerhaken wieder in einem anderen Laden. Dafür hatte er eine Rechnung verlangt und dabei eine erfundene Adresse angegeben. Dann hatte er sich von dem Händler verabschiedet und war Punkt neun Uhr wieder in seiner Zuflucht angekommen.
    Die neun. Seine Zahl.
    Der Doktor war früher als erwartet aufgewacht. Bei dem Versuch, sich zu befreien, war der Stuhl umgekippt und war hingefallen, wobei er mit dem Gesicht heftig auf den Boden geschlagen war. Eine seiner Augenbrauen war aufgeplatzt. Es sah komisch aus, wie er dalag, hatte der Junge gedacht, als würde er seine feine, gerade Nase geradezu gern in die Urinpfütze tunken. Der Junge hatte sich wieder ausgezogen. Er hatte den Stuhl mit dem Doktor wieder aufgerichtet und die Wunde sorgfältig mit einem mit Desinfektionsmittel getränkten Wattebausch gereinigt. Dann war er zum Kühlschrank gegangen, hatte ein Päckchen Apfelsaft hervorgeholt, den Strohhalm eingeführt und dann noch ein kleines Loch in das Klebeband gebohrt, das den Mund des Doktors verschloss.
    »Basal oder sublingual?«, hatte er gefragt, während er den Strohhalm durch das Loch im Band geführt hatte, und der Doktor trank ein wenig Saft.
    Dann fühlte er, wie der Albtraum wieder von ihm Besitz ergriff.
    »Ich habe keine Angst!«, hatte er geschrien und war in das andere, das dunkle Zimmer geflüchtet.
    Lauwarm lief mit seinen Tränen das Blut an ihm herunter. Aber bald würde

Weitere Kostenlose Bücher