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Inkubus

Inkubus

Titel: Inkubus Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luca Di Fulvio
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es klebrig erkalten und ganz langsam hart wie eine Schlammkruste werden, die jedes Mal aufbrechen würde, wenn er weinen musste und die Augen zusammenkniff. Es würde sich um ihn legen wie ein eiskaltes, zu enges Gewand.
    Er war nur ein Kind. Er war erst neun Jahre alt und hatte Angst.
    »Öffne den Mund«, sagte er, nachdem er sich von seinem Hass befreit hatte.
    Der Doktor stöhnte auf.
    Der Junge schaute ihm gerade in die Augen. Noch war dort keine Spur vom Licht zu sehen. Sicherheitshalber würde er noch den letzten Test machen.
    Er hielt die Krawatte, die er in der vorangegangenen Nacht nicht mit zerschnitten hatte, in der Hand, legte seinen Zeigefinger an die Lippen und starrte dabei den Doktor an. Der Doktor nickte. Er hatte verstanden. Er würde still sein. Der Junge nickte zurück. Vorsichtig entfernte er das Klebeband vom Mund des Doktors, der ihm gealtert vorkam. Eine einzige Nacht im Angesicht des ungeschönten Lebens, so wie es war, hatte ausgereicht, und schon wirkte er viel älter. Er nahm einen Holzkeil, öffnete den Mund des Doktors und steckte ihn zwischen die Backenzähne, um zu vermeiden, dass er ihn biss, was dem Lehrer beinahe gelungen wäre.
    Die blutunterlaufenen Augen des Doktors verrieten seine Angst und seine Erschöpfung.
    Der Junge schob ihm die Krawatte ganz weit hinten in den Rachen, bis der Doktor würgte. Dann nahm er das Holzstück heraus. Als der Mann husten musste, verrutschte die Krawatte und gab seine Kehle frei. Dann schrie er los.
    Der Junge versetzte ihm einige schnelle, heftige Schläge mit der Faust. Er wollte die Worte des Doktors nicht hören. Der Doktor führte zischelnde Worte im Mund. Worte, die den Jungen förmlich erschlugen. Worte, die ihm Hände und Füße lähmten und ihm jede Möglichkeit nahmen, zu fliehen oder sich zu verteidigen. Worte so schneidend, so fest wie Draht.
    Der Junge hatte Angst vor dem Doktor. Daher musste der Junge ihn mit klopfendem Herzen zum Schweigen bringen. Tränen trübten seinen Blick, dass er wie durch einen dichten Nebel lief, der ihn immer wieder zwang stehen zu bleiben, Atem zu holen, um sein Gleichgewicht, den Weg und die Orientierung wiederzufinden. Seine Mission.
    »Dreh dich um«, hatte ihm beim ersten Mal der Doktor zugeflüstert.
    Er hatte sich umgedreht. Weil ihm nichts anderes übrig blieb. Er hatte gespürt, wie der Doktor am Gummiband seiner Unterhose zog. Er hatte einen stechenden, heftigen Schmerz dort gespürt, wo niemand ihn hätte berühren dürfen, und dann nichts mehr. Bis zu jener Nacht.
    Er steckte ihm wieder den Holzkeil zwischen die Zähne und zog die Krawatte aus dem Mund. Sie war zu klein für seine Zwecke. Als er sich suchend umsah, fiel sein Blick auf den uringetränkten Lappen. Er hob ihn auf und wrang ihn aus, ließ die stechende Flüssigkeit über die Schenkel des Doktors rinnen – er erinnerte sich gut, wie ihm das gefallen hatte – und stopfte ihm den Lappen in den Mund. Ganz tief in den Rachen. Wieder nahm er das Holz heraus. Er sah die Zahnabdrücke des Doktors neben denen des Lehrers. Der Junge legte den Holzkeil in die Schublade mit den Werkzeugen zurück, nahm das glänzende Instrument aus Stahl und legte es auf die Tischplatte. Er schob den Tisch näher an den Doktor heran. Dann holte er noch einen Stuhl und ein Tuch, auf das er Desinfektionsmittel gesprüht hatte. Damit säuberte er sorgfältig das Stahlinstrument und prüfte zerstreut mehrmals seine Funktionstüchtigkeit.
    Das Stöhnen des Doktors wurde durch den Lappen gedämpft.
    Das Instrument hatte zwei kleine, sich wie bei einer Schere kreuzende Arme, an deren Enden je ein Halbkreis aus Metall befestigt war. Der Junge setzte einen Halbkreis auf die unteren Zähne des Doktors und den anderen auf die obere Zahnreihe. Dann drehte er an einer Schraube am anderen Ende. Die beiden Arme begannen, sich zu spreizen. Die Halbmonde drückten gegen die Zähne und zwangen den Doktor, den Mund weit zu öffnen. Der Junge drehte die Schraube noch weiter, bis er spürte, dass die Muskeln und Bänder des Kiefers bis zum Zerreißen gespannt waren.
    Dann nahm er einen der drei Äpfel aus der Tüte des Obstladens und legte ihn auf den Tisch. Auch ihn polierte er sorgfältig mit dem in Desinfektionsmittel getränkten Tuch.
    Er beugte sich über den Doktor und untersuchte seine Augen genau, suchte nach dem Licht . Er wusste aus Erfahrung, dass der Doktor manchmal das Licht freigab.
    Dann drehte er weiter an der Schraube. Der Doktor stöhnte lauter. Sein

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