Inkubus
einer nach allen Seiten, auch oben geschlossenen Plane. Mitten durch das Logo der Feuerwehr auf der Vorderseite zog sich ein Spalt, wo der Eingang zu diesem improvisierten Schutzzelt war.
Die ganze Aktion hatte nicht länger als fünf Minuten gedauert.
Die Leute standen immer noch an ihren Fenstern und gafften, doch von jetzt an würden sie nicht mehr sehen können, was sich unter dem blutigen Tuch verbarg. Vermutlich hatten sie schon genug gesehen, dachte Amaldi. Während der Fahrt hatte man ihn darüber informiert, dass die erste Polizeieinheit bereits nach neunzehn Minuten am Tatort gewesen war, aber erst die zweite, die vier Minuten später dort eintraf, hatte alles Notwendige dabei, um die Gegend abzusperren und diesen scheußlichen Anblick zu verhüllen.
»Sollen wir reingehen?«, fragte Frese.
»Danke, dass du den Gaffern keine Gemeinheiten an den Kopf geworfen hast«, meinte Amaldi.
»Ich werde wohl alt«, sagte Frese. »Alt, weise und tolerant …«
Amaldi lächelte. Jetzt war sein Kopf leer, sein Verstand jedoch hellwach.
»Dann wollen wir mal«, sagte er, knipste seine Taschenlampe an und schob eine Ecke des Zelteingangs beiseite.
Frese folgte ihm.
»Bist du bereit?«, fragte der Stellvertreter und packte mit einer Hand einen Zipfel der Stoffplane, die den Aufbau abdeckte.
»Los.«
»Ich komme mir vor wie bei der Enthüllung eines Denkmals«, brummte Frese. »Für die Kriegsgefallenen«, fügte er hinzu und kicherte.
Amaldi bemühte sich noch einmal zu lächeln. Schließlich war es für keinen von ihnen beiden leicht, hier zu sein.
»Los«, wiederholte er.
Frese zog die Abdeckung herunter. Die Stoffplane raschelte und dann gab es ein ratschendes Geräusch, als würde Papier zerrissen.
»Scheiße«, fluchte Frese laut.
Amaldi richtete den Strahl der Taschenlampe nach oben. Die Plane hatte sich in einer der beiden Eisenstangen verfangen und war eingerissen. Frese ließ den Zipfel los, den er noch in der Hand gehalten hatte, und verließ vor sich hin schimpfend das Zelt.
Amaldi senkte die Taschenlampe. Die Stoffplane hing jetzt nach einer Seite herunter und ließ einen Arm des Opfers sehen. Das Handgelenk war mit Draht an einer der beiden Streben festgebunden, der Unterarm darüber bot einen beeindruckenden Anblick. Unter der Wucht des Aufpralls waren Elle und Speiche glatt durchgebrochen. Die Knochen stachen aus dem Fleisch hervor wie zwei Bajonette und hatten sich in den Handrücken gebohrt. Einer der beiden Knochen war sogar ganz durch die Hand gedrungen und ragte nun daraus hervor wie ein dürrer, bleicher sechster Finger.
Frese kam ins Zelt zurück, er hatte eine lange Aluminiumstange dabei.
»Mal sehen, ob du jetzt mehr Erfolg hast. Die Denkmalseinweihung ist bis jetzt ja ein ziemliches Fiasko gewesen«, meinte Amaldi in dem Versuch, komisch zu sein.
»Ich habe mich um den Beifall gebracht, oder?«
»Ich fürchte schon.«
Frese schob die Stange unter die fest sitzende Stoffplane bis zu der eingerissenen Stelle, hob die Plane von unten an und ließ sie dann seitlich zu Boden fallen. Das Tuch senkte sich langsam herab und breitete sich teilweise über die Blutlache.
Kurze Zeit sagte keiner von ihnen ein Wort. Sie starrten den nackten, verstümmelten Körper des Opfers an, das auf eine Sprossenleiter gefesselt war. Durch den Aufprall hatte der Rumpf jegliches Ebenmaß verloren. Wahrscheinlich war das Rückgrat gebrochen. Der Körper war völlig verdreht und unförmig zusammengepresst. Die Brustmuskeln waren viel zu nahe beim Bauchnabel. Eine Brustwarze war eingerissen. Auf einer Seite waren wahrscheinlich die Rippen gebrochen, dort lag ein Teil des Brustkorbs direkt auf der Hüfte auf. Wie eine Art Fleischpanzer. Eine Schulter stand höher als die andere. Der Nacken, oder was von ihm noch übrig war, hing weich nach vorn zwischen den verdrehten Oberarmknochen, die beide aus ihren Gelenkpfannen gesprungen waren. Ausgefranste Enden von Venen, Arterien, Sehnen und ein Teil der Luftröhre ragten aus dem fahlen Fleisch hervor wie die Elektrokabel eines Roboters.
»Der Kopf ist oben auf Höhe des ersten Stocks geblieben«, sagte Frese und bemühte sich, möglichst unbeteiligt zu klingen.
»Schau mal dort«, meinte Amaldi, dann fuhr er sich schockiert mit einer Hand über die Augen.
Der Penis des Opfers hing direkt vor dem Brustbein. Ein dünner Eisendraht, der an der obersten Sprosse der Leiter befestigt war, baumelte frei daneben. Er endete in einer Schlinge. Der Penis wurde von einem
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