Inkubus
Eckzähnen.
Während Amaldi noch zögernd vor der Tür stand, hörte er auf einmal eine laute Stimme hinter sich. »Bitte, nach dir, du bist der Ehrengast«, hatte Palermo mit einem triumphierenden Lächeln gesagt. Daraufhin hatte Amaldi die Tür geöffnet und war eingetreten. Das Zimmer war hell und geräumig. Hinter einem großen imposanten Schreibtisch aus rot glänzendem Mahagoniholz saß der Polizeipräsident: Seine Wangen waren feist und gerötet, die Augen verschwanden beinahe unter seinen Schlupflidern und zwischen seinen wulstigen Lippen steckte eine erloschene Zigarette. Hinter ihm stand der Leiter des Disziplinarausschusses, der seinem beleibten Vorgesetzten den eigenen bequemen Ledersessel überlassen hatte. Er selbst war ein großer, hagerer Mann mit grauen Schläfen und blasser Gesichtsfarbe, der nur schwarze Kleidung trug. Aus diesem Grund hieß er bei allen Beamten »der Jesuit«. Vor dem Schreibtisch befand sich ein einziger, bisher noch leerer Stuhl. Rechts neben dem Schreibtisch rutschte der schmächtige Richter Emilio Boiron unruhig auf einem Sessel herum und würdigte Amaldi keines Blickes. Auf dem Sofa neben der Tür saß Frese mit gesenktem Kopf, der kurz aufgeschaut und Amaldi mit einem knappen Kopfnicken begrüßt hatte, und dann wieder verlegen nach unten auf den Perserteppich starrte. Palermo setzte sich neben ihn. Der Polizeipräsident zeigte auf den leeren Stuhl vor dem Schreibtisch.
Dort hatte der Angeklagte dann Platz genommen.
»Es ist wohl eindeutig, dass wir mehr als genug Beweise haben, um Primo Ramondi festzunehmen«, ergriff der Polizeipräsident das Wort. Er zündete sich die Zigarette zwischen seinen Lippen an, zog gierig daran und behielt den Rauch lange in den Lungen, bevor er ihn in dichten, grauen Wolken ausstieß und die Glut mit Zeigefinger und Daumen über dem Aschenbecher abkniff. Anschließend steckte er sich den erloschenen Stummel wieder zwischen die Lippen. »Ich habe einen Blick in die Akte geworfen. Ich möchte hinzufügen, Commissario Amaldi, meiner Meinung nach hätten bereits beim ersten Mord genügend Beweise vorgelegen, um gegen Primo Ramondi vorzugehen.«
Amaldi drehte sich zu Frese um. Sein Stellvertreter schaute immer noch zu Boden und wich seinem Blick aus.
»Nur aus einem einfachen Grund habe ich nicht vor, Sie von dem Fall abzuziehen«, fuhr der Polizeipräsident fort. »Ich möchte der Presse … kein gefundenes Fressen liefern. Die würde Sie und vor allem auch uns genüsslich zerreißen, weil wir Sie mit den Ermittlungen betraut haben«, hier machte der Polizeipräsident eine lange Pause. »Keiner der hier Anwesenden hat vergessen, was Sie durchgemacht haben … und keiner hat vor zu vergessen, was Sie für die gesamte Truppe geleistet haben … trotzdem wird, sobald die ganze Angelegenheit beendet ist, gegen Sie eine interne Untersuchung eingeleitet werden … Wir werden unsere schmutzige Wäsche allerdings nur intern und nicht in aller Öffentlichkeit waschen …« Der Polizeipräsident drehte sich zum Jesuiten um, der ernst nickte. »Aber ich hoffe, Sie begreifen in der jetzigen Situation, dass Sie diese Ermittlungen ernsthaft in Gefahr gebracht haben. Haben Sie etwas dazu zu sagen?«
Amaldi schüttelte den Kopf.
»Hiermit ist Ispettore Capo Palermos Suspendierung aufgehoben und alle Anklagepunkte gegen ihn werden fallengelassen. Wir sind der Meinung … und zwar in erster Linie der Commissario Capo des Disziplinarausschusses und erst danach meine Wenigkeit … dass Ispettore Capo Palermo zwar gegen die Vorschriften verstoßen hat …, aber nur deshalb, weil er über Ihren unbegründeten Widerstand so verzweifelt war, Commissario Amaldi«, dröhnte der Polizeipräsident weiter. »Offiziell bleibt der Fall bei der Abteilung Serienverbrechen … und damit in Ihrem Zuständigkeitsbereich, Amaldi. Ich habe jedoch entschieden, dass Ihnen Ispettore Capo Palermo offiziell zur Seite gestellt wird … und tatsächlich wird dieser die Ermittlungen leiten.«
»Aber Chef«, protestierte Amaldi, »Palermo ist vom Sittendezernat … nicht von der Mordkommission. Jeder meiner Männer wäre bestens in der Lage …«
»Commissario Amaldi …«
»Ispettore Frese ist mit Sicherheit besser qualifiziert …«
»Commissario Amaldi!« Der Polizeipräsident schlug mit seiner Hand auf den Schreibtisch.
Amaldi schwieg mit hochrotem Kopf.
»Commissario Amaldi«, sagte der Polizeipräsident, »ich habe keineswegs die Absicht, aus dieser Runde eine demokratische
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