Innenhafen
Sprache, die ich nicht verstand. Polnisch oder Russisch, vermutete ich.
Im Schlafzimmerschrank, der erstaunlich überdimensioniert für die wenigen darin befindlichen Kleidungsstücke war, fand ich die Fotoalben, von denen Bea gesprochen hatte.
Ein Album war Bettina gewidmet. Es begleitete ihr Aufwachsen vom Säuglingsstadium bis hin zum Erwachsenenalter. Auf den ersten Seiten war häufig noch eine Frau mit auf den Fotos zu sehen. Sie tauchte später nicht mehr auf. Ein anderes Album dokumentierte Kurts eigene Kindheit. Dort fand ich auch unser Klassenfoto, ordentlich eingeklebt. Volker war noch nicht darauf zu finden. Der war erst in der Oberstufe zu uns gestoßen. Und ein weiteres Klassenfoto. Der Abiturjahrgang, aber reichlich dezimiert. Ich war nicht drauf, ebenso wenig Gerda, Volker und Barbara. Ich erinnerte mich dunkel, dass ich nicht zur Abschluss-Feier an der Schule gegangen war. Zu spießig, fanden wir damals.
In einem Karton fand ich ein Bündel Briefe und Postkarten, mit einem blauen Seidenband liebevoll umwickelt, die Adresse mit rührend kindlichen Großbuchstaben geschrieben. Sie begannen alle mit »Lieber Paps«. Urlaubsgrüße von Bettina. Also doch jemand, der dich geliebt hat, so richtig richtig, dachte ich plötzlich. Auch wenn es nicht die Art von Liebe war, die du dir gewünscht hast. Traurigkeit schlich in meine Seele, begleitet von der wunderbaren Altstimme, die leise aus dem Wohnzimmer zu mir drang. Ich wollte weinen und tat es dann doch nicht.
Mehr fand ich nicht. Jedenfalls nichts, was mir irgendwie bedeutsam erschien. Eine Sammlung bunter, aufziehbarer Blechspielzeuge war in einer Kiste verstaut, und ich fragte mich, warum sie keinen sichtbaren Platz in dieser aufgeräumten Wohnung haben durfte, sondern ihr Dasein im Schlafzimmerschrank fristen musste. Eine Reihe zerlesener Kinder- und Mädchenbücher. Kurtis Videosammlung, säuberlich beschriftet. Viele James-Bond-Filme. Außerdem französische Krimis und die amerikanischen Filme der schwarzen Serie, alles Klassiker, viele in Schwarz-Weiß. Dazwischen Shrek, die Aristocats und das Dschungelbuch.
»Und? Dein Eindruck?« Volker schlenderte auf den Balkon und nahm sich eine Flasche Bier aus dem Kasten. »Willst du auch eins?«
»Ist das denn kalt genug?«
»Klar ist das kalt genug. Wir haben gerade mal zehn Grad oder so.« Er stellte zwei Flaschen vor uns auf den Tisch und öffnete sie mit dem Feuerzeug. »Prost.«
»Prost.« Ich hob die Flasche in seine Richtung, bevor ich einen großen Schluck nahm. »Sag mal, sah das hier schon immer so aus?«, fragte ich.
»Wie meinst du das?« Volker sah mich mit gerunzelter Stirn an.
»Na, das alles hier ist so … ich weiß auch nicht.« Mit der Hand beschrieb ich einen Kreis. »Diese Möbel …«
»Ach das meinst du. Früher hatte er andere. Zumindest als ich das letzte Mal bei ihm war. Das ist allerdings bestimmt neun Jahre her. Ist doch gut, dass er sich mal von seiner Sperrmüllsammlung getrennt hat. Was stört dich daran?«
»Nichts, nur … das ist alles so aus einem Guss. Wie aus dem Katalog gekauft. Das meine ich nicht abwertend. Das Zeug ist nicht billig und auch nicht geschmacklos. Aber er hat es nicht geschafft, dem Ganzen eine persönliche, geschweige denn gemütliche Note zu geben. Ich schließe daraus, dass er nicht gerne allein mit sich war.«
»Aha«, machte Volker. Er sah nicht so aus, als würde er verstehen, was ich meinte.
»Musst du mal drauf achten«, sagte ich spöttisch. »Auf die Wohnungen von allein lebenden Männern. Sie sind häufig so – mit einem Flair von Katalog. Viele Männer markieren dann bloß noch ihr Revier.«
»Markieren? Willst du etwa behaupten, sie pinkeln an die Möbel?«
»Ganz so schlimm ist es nicht.« Ich grinste vergnügt. »Sie markieren, indem sie benutztes Geschirr und Klamotten, die eigentlich längst in die Wäsche gehören, Bierflaschen und Papierkram und so überall herumfliegen lassen. Das müssen sie auch, um dem Katalog ihren Stempel aufzudrücken.«
»Männer sind Schweine …«, sang Volker. Er wirkte so, als fühlte er sich ertappt.
»Genau. Eine Wohnung, in der ein Mann mit einer Frau zusammenlebt, sieht anders aus. Da müssen die armen Schweine nämlich aufräumen. Sie dürfen nicht mehr überall ihre Spuren hinterlassen, sonst hält es die Frau mit ihnen nicht aus.«
»Aber diese Wohnung hier ist kein Schweinestall.«
»Stimmt.« Erneut ließ ich meinen Blick durch die Küche schweifen. »Deshalb komme ich ja auch
Weitere Kostenlose Bücher