Innenhafen
wäre er jetzt vielleicht nicht tot, oder?« Sie biss sich auf die Lippen.
»Das darfst du nicht denken«, sagte ich schnell. »Worüber hat er sich denn immer so geärgert?«
»Na ja.« Bettina zögerte kurz, schien zu überlegen. »Dass ihm seine jüngere Kollegin vor die Nase gesetzt wurde, beispielsweise. Oder dass sein Chef sich angeblich mit falschen Lorbeeren schmückt. Oder dass er mal wieder die Fehler ausbügeln musste, die sein Kollege gemacht hat. Eigentlich hatte er immer was zu meckern, um sich dann letztendlich doch nur über sich selbst lustig zu machen.«
Typisch Kurti. So war er früher auch schon gewesen. Immer dieser Ärger über andere, der sich ganz schnell gegen ihn selbst gewendet hatte.
»Und in letzter Zeit war da nichts anders?«, bohrte ich nach.
»Nein. Ja, doch. Er war …« Bettina zögerte schon wieder, so, als würde sie nach den richtigen Worten suchen. »Er wirkte irgendwie aufgedreht, also noch aufgedrehter als sonst, wenn er in einer himmelhoch jauchzenden Phase war.«
Himmelhoch jauchzend. Ich lächelte in mich hinein. Der Begriff passte nur zu gut zu Kurt. Zumindest zu dem, was ich von ihm in Erinnerung hatte.
»Und seltsam war, dass er kurzfristig Urlaub genommen hat, ohne mir das zu sagen«, erzählte Bettina weiter. »Die letzten drei Wochen vor seinem Tod hat er nicht gearbeitet, das hat mir gestern die Frau von der Kripo gesagt. Ich finde das komisch, weil er mir sonst immer Bescheid sagt, wenn er verreist. Und wenn er nicht wegfährt, kommt er zum Kaffeetrinken vorbei, lädt mich zum Essen ein oder macht Vorschläge, mal ein Museum zu besuchen oder so was. Ich dachte, er sei mal wieder auf Geschäftsreise.«
»Vielleicht hat er eine Frau kennengelernt und war deshalb so euphorisch?« Das würde doch passen, ein spontaner Urlaub mit einer Frau. Unwahrscheinlich war das jedenfalls nicht. Aber was hätte das dann mit seinem Tod zu tun?
»Bestimmt nicht. Davon hätte ich gewusst.« Das kam im Brustton der Überzeugung.
Ich ließ es erst mal dabei bewenden. »Hast du denn eine Idee, wo er stattdessen gesteckt haben könnte?«, fragte ich.
»Zu Hause war er auf jeden Fall nicht. Sein Briefkasten war schon länger nicht geleert worden.«
»Also keine Idee?« Fragend hob ich eine Augenbraue.
»Nein. Sorry.« Bettina hob die Hände zu einer bedauernden Geste. »Die Polizei hat mich das auch schon mehrmals gefragt, und ich habe mir den Kopf darüber zerbrochen. Aber mir fällt nichts ein.«
»Hast du einen Schlüssel zu seiner Wohnung?«, mischte Volker sich ein. »Wir würden uns dort gerne mal umsehen.«
Bettina nickte. »Könnt ihr haben. Die Wohnung wurde gerade wieder freigegeben, sie haben mich gestern Nachmittag angerufen. Ihr müsstet also problemlos reinkommen.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Ich war aber noch nicht da. Ich kann das im Moment nicht«, sagte sie mit zittriger Stimme. »Die Wohnung auflösen, in seinen Sachen herumstöbern …«
»Lass dir Zeit.« Volker nahm sie tröstend in die Arme. »Du bist nicht umsonst krankgeschrieben. Sieh zu, dass du erst mal wieder zu Kräften kommst.«
* * *
Die Wohnung lag an einer Einbahnstraße nahe dem Dellplatz, einer Wohnstraße mit dem für das Ruhrgebiet so typischen Gemisch aus Altbauten und schnell nach dem Krieg hochgezogenen, zweckmäßigen Fünfziger-Jahre-Kästen. Ganz wie Bea es gesagt hatte, war die Wohnung ebenso verwohnt wie der Altbau, in dem sie sich befand. Schön geschnitten, mit drei in etwa gleich großen, lichtdurchfluteten Räumen, die von einer großzügigen Diele aus erreichbar waren, sowie einer großen Wohnküche mit Balkon, der zu einem geschlossenen Hinterhof hinausging. Aber die hohen Fenster waren nur einfach verglast, der Lack an den Rahmen gelb und rissig, und die schiefen Böden knarrten bei jedem Schritt.
Ich setzte mich an den schlichten weißen Küchentisch, um den Raum auf mich wirken zu lassen und ein Gespür für den Menschen zu bekommen, der in dieser Wohnung gelebt hatte. Doch da war Volker, der unruhig hin und her streunte. Seine feingliedrigen Hände fielen mir auf, als er ein Buch vom Regalbrett über der Heizung in der Küche nahm und mit »Kochbuch für Männer – mit wenig Aufwand zum Erfolg« kommentierte. Und seine Jeans saß so, wie eine Jeans sitzen sollte. Sie war nicht ausgebeult, sondern betonte die Rundung eines ansehnlichen Pos. Auch als ich ihn nicht mehr im Blickfeld hatte, hörte ich, wie er Dinge in die Hand nahm, leise vor sich hin
Weitere Kostenlose Bücher