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Innenhafen

Innenhafen

Titel: Innenhafen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ursula Sternberg
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ich.
    Reglos, den Kopf in die Hände gestützt, blieb ich am Tisch sitzen, lauschte den Schritten auf den knarzenden Dielen des Treppenhauses, hörte die Haustür ins Schloss fallen, den Motor eines Wagens starten und schließlich das leise Rumpeln des sich entfernenden Fahrzeuges auf dem buckeligen Kopfsteinpflaster.  Wie begonnen, so zerronnen …  Ach Großmutter, kannst du nicht einfach mal die Klappe halten?
    Ich weiß nicht, wie lange ich so dasaß und die zärtlichen Klänge vom Band in mich eindringen ließ. Aber irgendwann fasste ich einen Entschluss. Ich stoppte die CD, räumte die benutzten Gläser, Töpfe und Teller in die Spülmaschine, schaltete sie ein, reinigte die Küchenzeile, zog das Bett ab, hinterließ Bea ein paar Zeilen auf dem Küchentisch, griff mir meine Jacke und ließ schließlich leise die Wohnungstür hinter mir ins Schloss fallen.
    * * *
    Ich fühlte mich seltsam befreit, als ich die Sträßchen der alten Krupp-Siedlung hinter mir ließ und das kleine Waldstück zwischen Margarethenhöhe und Grugapark durchquerte, bis ich auf die alte Eisenbahntrasse stieß, die, mittlerweile als Fahrrad- und Spazierweg ausgebaut, den Leinpfad an der Ruhr in Essen mit Mülheim verband. Ich folgte der Trasse bis zum Klinikum und sah zu den Hochhäusern dieser gigantischen Essener Krankenstadt hinauf. Dort irgendwo lag Max im künstlichen Koma. Hoffentlich war alles in Ordnung, und sie könnten ihn bald aus diesem furchtbaren Schlaf holen. Hoffentlich.
    An der Orangerie verließ ich die Trasse und tauchte in die nachtleeren Straßen von Holsterhausen ein. Vorsichtig näherte ich mich unserem Wohnhaus. Spionierte die Schatten in den Hauseingängen und Toreinfahrten aus. Niemand zu sehen. Ich suchte nach meinem Schlüsselbund, an dem sich auch ein Schlüssel zu Max’ Wohnung befand, und fand ihn nicht. Klar, den hat ja Bea, fiel mir ein. Ich musste improvisieren.
    Auf dem dunklen Hof der kleinen Autowerkstatt, die sich ein paar Häuser neben unserem Wohnblock befand, suchte ich nach Max’ Wagen. Dort hinten in der Ecke stand er. Ich fischte den Ersatzschlüssel aus meiner Geldbörse und schloss ihn auf. Wenn ich Glück hatte, befand sich ein weiterer Schlüssel zu Max’ Wohnung in der Mittelkonsole des alten Camri, auch wenn er eigentlich nicht dort sein sollte. Nicht wenn der Wagen in die Werkstatt kam. Aber Max war schusselig. So zuverlässig er in wichtigen Sachen auch war: Es gab eine Reihe von Dingen, mit denen er einfach permanent auf Kriegsfuß stand. Mit Sonnenbrillen beispielsweise. In jedem Urlaub mussten wir eine neue kaufen. Die Lesebrillen, die er neuerdings brauchte, lagen strategisch verteilt überall in seiner Wohnung, in meiner Wohnung, im Keller und in seinem Auto. Er vergaß sie jedoch grundsätzlich, wenn wir mal essen gingen. Und ganz schlimm stand es um das Thema Schlüssel. Wie oft hatte er sich schon ausgesperrt aus seiner eigenen Wohnung. Deshalb ja auch der Trick mit dem Ersatzschlüssel in der Mittelkonsole.
    Ich hatte Glück. Der Wohnungsschlüssel lag in der Konsole. Drei Minuten später schloss ich Max’ Wohnung auf und wurde stürmisch von den beiden Catos begrüßt. Ich ließ die Rollos hinunter, mit denen Max seine Bude immer verrammelte, zündete ein paar Kerzen an, schenkte mir ein Glas alkoholfreies Bier ein und kroch in Max’ Bett. Es roch ganz wunderbar vertraut, und auch, wenn es nicht meine eigene Wohnung, mein eigenes Bett war: Hier bewegte ich mich auf gewohntem Terrain. Ich war wieder zu Hause.
    Die Katzen bestürmten mich wechselweise, schnurrten und kneteten die Bettdecke mit spitzen Tritten. »Es war doch nur eine Nacht, ihr Süßen«, brummte ich gerührt. Endlich gaben sie Ruhe und kringelten sich am Fußende zusammen.
    Schlafen konnte ich trotzdem nicht. Denn da waren immer noch die Bilder, die mich einfach nicht losließen. Max, der mich stürmisch in die Arme nimmt und mir  Mein schräger blauer Vogel  ins Ohr flüstert. Volker mit seinem Novemberblick. Max am Strand, atemlos vor Glück. Volker, wie er mir sachte die Hand in den Nacken schiebt. Max, bleich in seinem Krankenhausbett mit diesem furchtbar grauen, eingefallenen Gesicht. Und Max vor einigen Jahren, wie er in meiner alten Wohnung saß mit untergeschlagenen Beinen, das runde Gesicht mit den ewigen Bartstoppeln schien von innen zu leuchten. Ob es am bunten Schillern des Silvesterfeuerwerks gelegen hatte oder an der Freude darüber, mit mir zusammen zu sein, wusste ich nicht. Vermutlich

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