Innere Werte
»Als das Geld verspielt war, haben Sie sich noch mehr von ihr geholt. Richtig?«
»Ja, ich hab Anja gedroht, ihr kleines Geschäft auffliegen zu lassen. Damit ich den Mund halte, hat sie mir fünfhundert im Monat gegeben.«
»Hat sie Ihnen zusätzlich Arbeiten angeboten, um sich noch mehr zu verdienen?«
»Nein.«
Forschend betrachtete Martin den Mann. »Wer hängt da noch mit drin?«
»Das weiß ich nicht.«
»Sie müssen doch irgendwelche Leute vor oder nach der Operation zu Gesicht bekommen haben? Ärzte, Pfleger, was weiß ich.«
»Nein. Das war der Deal. Ich kannte nur Anja. Auf dem Weg zur OP hat sie mir ein Schlafmittel gegeben. Und als ich aufgewacht bin, war alles vorbei und ich wieder zu Hause.«
»Man muss doch anschließend noch versorgt werden.«
»Mein Hausarzt hat das übernommen. Er hat furchtbar mit mir geschimpft. Aber das Gute an Ärzten ist ja ihre Schweigepflicht. Er hat mich später auch zu so einem Nierenarzt geschickt.«
»Wer ist Ihr Haus- und wer der Nierenarzt?«
»Der Hausarzt ist Dr. Weber in der Nackstraße in Mainz. Und der Nierenarzt heißt Bäder, glaube ich. Das war in der Nähe vom Bahnhof.«
Paul notierte sich die Namen.
»Was war mit Voruntersuchungen?«
»In einer Arztpraxis hab ich mir jede Menge Blutproben abnehmen lassen. So wie Anja es gesagt hat. Die Röhrchen hab ich mitgenommen und ihr gegeben.«
»Wie bei Bielmann«, sagte Martin zu Paul. »Kennen Sie Peter Bielmann?« Er zeigte Gleisinger ein Foto.
»Nein. Wer ist das?«
»Einer Ihrer Spenderkollegen, der die Operation offensichtlich nicht überlebt hat. Vielleicht hat er auch nur zu viel gewusst und wurde entsorgt. Man hat ihn nämlich zerstückelt in der Kläranlage gefunden.«
Das beeindruckte Gleisinger nachhaltig.
»Überlegen Sie mal, ob Sie nicht doch die Hintermänner kennen.«
»Ich weiß wirklich nicht, wer die sind. Wirklich nicht«, beteuerte er.
»Haben Sie den Namen Dr. Steffen Wellner schon mal gehört?«
Gleisinger überlegte, verneinte dann aber.
»Wussten Sie von Anjas Verabredung am Abend ihres Todes?«
»Ja, sie hat das erwähnt. Aber ich weiß nicht, wo oder mit wem sie sich treffen wollte.«
»Was genau ist an Anja Schultes Todestag passiert?«
»Ich war nachmittags bei ihr, um Geld zu holen. Ich war ein bisschen klamm und dachte, sie greift mir unter die Arme. Was sie auch gemacht hat.«
»Freiwillig?«
Udo biss sich auf die Lippen, was einer Antwort gleich kam.
»Sie haben sie also gezwungen«, stellte Martin fest.
»Ja!«, gestand er. »Aber ich habe sie nicht umgebracht. Ich hab sie nur einmal geohrfeigt.«
Martin erinnerte sich an den Obduktionsbericht, in dem ein Bluterguss an der Wange erwähnt war.
»Hat sie Sie beleidigt oder provoziert? Ich könnte mir vorstellen, dass sie auf Sie hinabgesehen hat, sich selbst für was Besseres hielt. Sie waren sehr verärgert über sie und wollten sie nur noch loswerden. Diese permanente Demütigung, jeden Monat, wenn Sie Ihr Geld bekamen.«
»Ja, sie hatte ihre Nase ganz schön weit oben«, bestätigte Gleisinger. »Sie war oft nicht nett zu mir. Eigentlich nie.«
»Ich halte also fest: Sie hatten Streit, Sie wussten von ihrer Verabredung am Abend und sind ihr gefolgt. Als sie niemanden getroffen hat, haben Sie die Gelegenheit genutzt und sie zum Trinken überredet und ihr die Tabletten verabreicht.«
»Ich hab sie nicht umgebracht. Da wär ich ja schön blöd. Ich dreh mir doch nicht selbst den Geldhahn zu.«
»Das kann man, wenn man wütend ist, schnell mal vergessen. Und wenn ich mir überlege, dass Sie nur fünfhundert Euro bekommen haben … Das war ja nicht gerade viel, wenn man bedenkt, was die Schulte kassiert hat. Ihr Job war ziemlich lukrativ. Den hätten Sie sicher gerne übernommen und die richtig große Kohle gemacht, oder? Sie kennen doch sicher eine Menge Hartz-IV-Empfänger, die als Spender infrage kommen könnten.«
»Das ist doch Quatsch.«
»Nein, eher ein Mordmotiv.«
»Und Sie haben kein Alibi, Herr Gleisinger«, erinnerte ihn Paul.
»Ich war doch im Casino.«
»Sie sagten neulich, Sie seien im Theater gewesen.«
»Da hab ich halt gelogen.«
»Wir werden das überprüfen.« Anhand der Überwachungskameras in der Spielbank würde sich das schnell feststellen lassen.
»Wie kommen Sie zur Zeit zu Geld?«
»Ich muss jetzt eben mit dem auskommen, was ich habe.«
»Wer’s glaubt, wird selig«, murmelte Paul.
»Naja, das soll mir auch egal sein. Schade nur, dass Sie Ihre zweite Niere nicht
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