Innere Werte
Kollege«, Martin nickte ihm zu und ging dem Arzt entgegen.
»Ach«, wandte sich der Rechtsmediziner Martin zu, als er ihn kommen sah, »Sie sind sicher Kommissar Sandor?«
»Bin ich. Und mit wem habe ich die Ehre?«
»Robert Richard.« Förmlich rückte er sich die Brille zurecht, ehe er Martin die Hand reichte.
»Ich habe schon von Ihnen gehört«, sagte Martin schmunzelnd, denn er erinnerte sich an das Gespräch mit Dr. Stieber in der Kläranlage. »Sie sind der junge Assistent von Jochen Stieber«, fuhr er fort, während er überlegte, welcher der beiden Namen wohl der Nachname seines Gegenübers war.
»Exakt!«
»Willkommen im Club!«
»Club ist ja wohl nicht ganz der richtige Ausdruck«, entgegnete Robert Richard etwas zu ernst und betrachtete Martin missbilligend. »Das ist ja schließlich keine Freizeitveranstaltung hier.«
Erstaunt hob Martin die Augenbrauen. Dieser junge Arzt schien nicht gerade ein humorvoller Typ zu sein. Er war ein kleiner, schmaler Mann mit sehr hellen Augen und blonden, lockigen Haaren. Ende zwanzig, schätzte Martin.
»Entschuldigen Sie meine laxe Ausdrucksweise.« Der Kommissar schlug einen förmlichen Ton an. Für einen Moment hatte er vergessen, wie es ist, als junger Mann mit oder bei der Polizei zu arbeiten. In Anbetracht des Grauens, auf das man ständig trifft, hält man Humor für völlig fehl am Platz und erkennt noch nicht, dass es manchmal das einzige Mittel ist, mit den Schrecklichkeiten des Alltages zurechtzukommen. »Können Sie mir schon etwas über die Todesursache sagen?«
»Sie bekommen meinen Bericht so schnell wie möglich.«
»Ich hätte aber gern jetzt schon ein bisschen Futter zum Spekulieren.«
Dr. Richard sah Martin forschend an, so dass dieser hinzufügte: »Ich möchte so schnell wie möglich mit den Ermittlungen beginnen. Da würde es helfen, wenn Sie mir das, was Sie bereits wissen, erzählen. Außerdem ist das die übliche Vorgehensweise.«
»Also gut. Aber Sie müssen wissen, dass meine Erkenntnisse nicht fundiert sind, solange die Frau nicht obduziert ist.«
»Ich werde das berücksichtigen.« Fast hätte Martin über den Hinweis gelacht, bemühte sich aber um eine ernste Miene.
»Es steht zu befürchten, dass die Tote sexuell missbraucht wurde. Das vermute ich aufgrund der Tatsache, dass sie nackt im Wald liegt. Aber ich kann das hier draußen natürlich nicht belegen.«
»Doktor, es wäre gut, wenn Sie mir nur die Fakten erzählen. Spekulationen können Sie getrost mir überlassen. Am besten, ich frage Sie das, was mich interessiert. In Ordnung?« Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr Martin fort: »Hat die Tote äußerlich erkennbare Verletzungen?«
»Nein, aber –!«
»Gibt es Hinweise auf die Todesursache?«
»Die Frau ist wahrscheinlich erfroren.«
»Woraus schließen Sie das?«
»Sie hat braunrötliche Hautverfärbungen über den Knien und Ellbogen, außerdem sind die Leichenflecken hellrot. Das sind typische Zeichen. Bei der Obduktion wird man sicherlich auch grobfleckige Magenschleimhauterosionen finden. Und die Streifen, die man am Rücken ansatzweise sieht, deuten auf streifige Blutungen der Lendenmuskulatur hin, die aufgrund von Muskelzittern in so einer Situation entstehen.«
»Das ist doch mal eine konkrete Ansage«, kommentierte der Kommissar das Gehörte. »Seit wann ist sie tot?«
»Dazu kann ich nichts sagen.«
»Kommen Sie schon. Wenigstens ungefähr?«
»Ich denke, ich soll nicht spekulieren.«
Der Mann muss noch viel lernen, dachte Martin und fragte sich, warum man so einen Grünschnabel hier alleine arbeiten ließ.
»Jetzt dürfen Sie.«
»Ich bin nicht sicher.« Genauso sah der Rechtsmediziner auch aus.
»Das brauchen Sie auch nicht. Sagen Sie mir Ihre persönliche Meinung. Ich werde Sie nicht darauf festnageln.«
»Bei Erfrierung ist das schwer zu sagen.« Dr. Richard zögerte.
»Versuchen Sie es.«
»Also, wenn ich von der gemessenen Rektaltemperatur ausgehe und berücksichtige, dass ein Mensch bei einer Körpertemperatur von fünfundzwanzig Grad Celsius stirbt, könnte ich mir vorstellen, dass sie seit etwa zwanzig Stunden tot ist. Aber die genaue Außentemperatur, die Größe und das Gewicht der Toten spielen auch noch eine Rolle, die den Todeszeitpunkt verschieben könnten.«
»Ich danke Ihnen, Herr Doktor.« Martin reichte ihm die Hand, zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war. »Ich freue mich auf Ihren Bericht. Und grüßen Sie mir Ihren Chef.«
Dr. Richard nickte nur und verließ
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