Innere Werte
Wiesbaden und Umgebung gibt es 538 Saab-Modelle. 240 davon sind 9-3er-Sport-Kombis und 153 sind zusätzlich dunkel.«
»Na, das geht ja noch«, sagte Martin, während er seine Jacke anzog. »Ich hab mit viel mehr gerechnet.«
»Saab hat einen Marktanteil von null Komma vier Prozent«, erklärte Dieter.
»Die sieht man ja auch kaum auf der Straße«, ließ sich Michael vernehmen. »Der typische Mittelklasse-Kombi ist eben immer noch der 3er-BMW, die C-Klasse oder der Audi A4.«
»Obwohl der 9-3er als Mehrzweck-Saab ein direkter Konkurrent zur BWM-3er-Serie ist. Und das zeigt doch, dass die schwedischen Importeure ihre Chancen zwischen den deutschen Platzhirschen haben.«
»Wie dem auch sei«, beendete Martin das Lieblingsthema der Kollegen, »hundertdreiundfünfzig ist die Zahl, die es jetzt auf eins zu reduzieren gilt.«
»Ich hab mir schon vier Leute vom Rauschgiftdezernat organisiert, die zurzeit nur Langeweile in die Luft blasen«, erklärte Dieter. »Mit denen kann ich die Halter überprüfen, wenn du keine anderen Pläne mit mir hast.«
»Prima! Legt los! Und zwar mit dem Augenmerk auf diese Felge mit den zehn Streben, die Simon erkannt hat, in Verbindung mit dem Reifenprofil.« Martin wandte sich Michael zu. »Hast du mit Katrin Buhr wegen des Saabs gesprochen?«
»Ja, aber sie kennt niemanden mit so einem Wagen.«
»Wär ja auch zu schön gewesen. Und was ist mit diesen Handschuhen? Hast du da was rausbekommen?«
»Leider noch nicht. Bei der Firma Severen ist die Computeranlage abgestürzt und es wird wohl bis morgen dauern, ehe sie auf unsere Anfrage antworten können.«
»Ohne Probleme geht’s wohl nicht«, stöhnte Martin.
»Sei doch nicht so ungeduldig.«
»Das alles könnte schneller gehen.«
»Wie immer«, murmelte Paul.
»Wir wissen ja, dass Geduld nicht deine stärkste Tugend ist, aber –«
»Geduld ist für Memmen!«, schnitt Martin seinem Kollegen das Wort ab.
»Ist das nicht ein Zitat von Shakespeare aus König Heinrich der Sechste?«, fragte Dieter beiläufig.
»Ich glaube eher, das ist ein Zitat von Kommissar Sandor aus dem K11«, gab Michael zurück, während Paul die Augen verdrehte.
35
Auch Steffen Wellner war unterwegs auf Wiesbadens Straßen. Er fuhr in Richtung Klinik. An einer roten Ampel, die er fast überfahren hätte, trommelte er nervös mit den Fingern auf dem Schaltknüppel seines Jaguars herum. Es passte ihm ganz und gar nicht, wie die Dinge sich zurzeit entwickelten. Erst dieser Zwischenfall mit Bielmann, dann Anja. Hoffentlich zog ihr Tod keine polizeilichen Ermittlungen nach sich. Das würde ihm gerade noch fehlen. Jetzt, wo er sich zusätzlich um andere Dinge kümmern musste. Er blickte auf die Uhr. Mist, schon so spät. Er hatte nicht vorgehabt, in die Klinik zu fahren, wollte er sich heute doch ausschließlich um die Akquise kümmern. Aber Anjas Tod veranlasste ihn, diverse Spuren zu vernichten, damit man ihn nicht mit ihr in Verbindung bringen konnte. Vielleicht war es gar nicht nötig. Vielleicht fragte niemand bei ihm nach. Vielleicht aber doch. Und auf diese Eventualität wollte er vorbereitet sein.
Schnell lief er dem Eingang entgegen, nachdem er den Wagen auf seinem Parkplatz abgestellt hatte. Mit einem kurzen Nicken begrüßte er seine Sekretärin, die ihn aufgrund seines plötzlichen Erscheinens erstaunt anblickte, und rauschte an ihr vorüber. In seinem Büro ließ er sich in seinen Stuhl fallen, schaltete den Computer ein und drückte die Sprechanlage.
»Frau Christ, keine Störungen. Ich bin eigentlich gar nicht da.«
»In Ordnung, Herr Doktor«, kam die folgsame Antwort aus dem Lautsprecher. Magdalena Christ war schon seit neun Jahren seine Sekretärin und damit diejenige, die es bisher am längsten bei ihm ausgehalten hatte. Steffen Wellner war kein freundlicher Chef. Er war herrisch, ließ seine Unzufriedenheit oft genug an ihr aus und erwartete Flexibilität. Für Magdalena hieß das häufige, ungeplante Überstunden und ein nicht allzu angenehmes Arbeitsklima. Aber all das machte ihr nichts aus, zu hoch war das Podest, auf das sie Dr. Steffen Wellner gestellt hatte. In dieser Position konnte er sich einiges erlauben, ohne ihren Zorn auf sich zu ziehen. Und das wusste er genau, denn in jedem ihrer Blicke lag Bewunderung und Ergebenheit, die Steffen hemmungslos ausnutzte, was ihm immer wieder ausgesprochene Freude bereitete. Menschen wie Magdalena trugen unwissentlich zu seinem übersteigerten Selbstwertgefühl bei und nahmen die
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