Innerste Sphaere
dir deinen Atem.« Seine Stimme war schroff, aber ein bisschen zittrig.
»Wie du meinst.«
Er schnaubte. »Wie du meinst? Jetzt weiß ich, dass du fantasierst.« Aber er hob mich höher, hielt mich fester und bettete meinen Kopf an seinen Hals. »In ein paar Stunden sind wir in der Station«, sagte er leise. »Bleib bei mir.«
Ich lächelte. »Ich gehe nirgends hin.«
28
Ich gehe nirgends hin.
Das waren die letzten Worte, an die ich mich erinnerte, ehe eine schwarze Flut die Welt wegspülte, Mauern zum Einsturz brachte, mich erstickte und begrub. Erinnerungen durchzuckten das lange, langsame Abgleiten in den Abgrund. Die meisten drehten sich um Malachi. Der noch funktionierende Teil meines Hirns grübelte über diese Paradoxie nach, weil wir uns doch erst so kurz kannten. Aber das machte nichts, es fiel mir einfach schwer, an irgendetwas anderes zu denken. Nur auf sein Gesicht kam es an. Es war das Einzige, was sich wie von selbst einstellte, wie ein Reflex, wie das Atmen. Wo immer ich hinging, ein Teil von ihm würde mich begleiten. Ob er es mir freiwillig gegeben hatte oder nicht, jetzt war es meins, um es zu wiegen, zu tragen, zu schützen.
Von Zeit zu Zeit drangen Stimmen durch den Nebel, aber die einzige, die ich erkannte, war seine. Ich begriff nicht, was er sagte, aber ich wusste, er war bei mir, wo immer ich mich befand. Nichts tat weh, außer dem quälenden Gefühl, dass er mir so viel und ich ihm so wenig gegeben hatte. Ich wünschte mir die Chance, ihm auch etwas zu geben, und zwar das Beste von mir, auch wenn es nichts Besonderes war, sondern nur mitleiderregend, kaputt, lädiert. Ich beschloss, wenn ich die Chance bekam, wenn er fragte, wenn er es brauchen konnte, dann gehörte es ihm.
Leute fassten mich an und ich war unfähig, sie davon abzuhalten. Mir war dunkel bewusst, dass man mich umbettete, schob, trug, umdrehte. Ich konnte den Mund nicht aufmachen und fragen, was da geschah, konnte ihnen nicht mitteilen, dass ich noch etwas wahrnahm, noch anwesend war. Gern hätte ich gefragt, wo Nadia war und ob es ihr gut ging. Oder mit Ana geredet, aber dann fiel mir ein, dass sie tot war. Oder mit Diane, aber dann dämmerte mir, dass sie noch lebte.
Aber am meisten wollte ich Malachi.
Malachi
.
»Er ist nicht da, Lela.« Eine sanfte Stimme. Eine schöne Stimme. Aber nicht seine. Ich tauchte wieder ab.
Malachi?
»Lela, hiergeblieben. Kannst du die Augen aufmachen?« Die schöne Stimme, die nicht seine war, sprach wieder. Jemand streichelte mein Gesicht.
»Malachi?« Das war ja wohl nicht meine Stimme. Sie war ganz dünn, keine richtige Stimme jedenfalls.
»Nein, Lela, ich bin’s, Raphael. Kannst du mich ansehen?«
Meine Augenlider zuckten. Jedes wog eine Tonne. »Lela, komm zurück, wo immer du bist. Du hast hier noch etwas zu erledigen.«
»Was?« Ich schlug die Augen auf. Fremdes Zimmer. Fremdes Feldbett. Daneben eine Lampe. Neben der Lampe ein Mann. Raphael.
Er lächelte, wirklich erstaunlich, sein Lächeln. »Willkommen.«
»Hab ich es bis zur Station geschafft?« Die Einzelheiten waren ziemlich verschwommen. Ich erinnerte mich vor allem an einen langen Fußmarsch.
Er schüttelte den Kopf. »Du hast nicht aufgehört zu atmen, mehr kann ich dazu nicht sagen. Als du zusammengebrochen bist, hat Malachi dich getragen.«
»Nadia?«, krächzte ich.
»Sie ist da. Malachi ist bei ihr. Schon seit Tagen. Er lässt sie nur allein, wenn er auf Patrouille geht oder wenn er dich besucht.«
Ich fasste mir mit beiden Händen ans Gesicht und bemerkte die feinen Narben auf meiner geheilten linken Hand. Alles fühlte sich so zusammenhangslos an, als wären Teile von mir abhanden gekommen. »Tage?«
Raphael nickte. »Bei deiner Ankunft warst du todkrank. Die Infektion war weit fortgeschritten. Innere Organe waren beschädigt, ganz zu schweigen von deiner Hand. Zudem bist du schwach, weil die Stadt keine Nahrung für dich hat. Ich war mir nicht sicher, ob ich dich zurückholen kann.«
»Ana? Hat man sie gesehen? Wurde sie gefunden?«
Etwas funkelte in seinen Augen. »Nein. Sie ist nicht in die Stadt zurückgekehrt. Malachi hat mit jedem der Torwächter persönlich gesprochen.«
Ich beobachtete ihn genau. »Malachi hatte viel zu tun.«
»Sehr viel. Das hat er gebraucht.«
Ich biss mir auf die Lippe. »Ist er wütend auf mich?«
»Das kannst du ihn selbst fragen. Ich habe ihn rufen lassen, als du anfingst aufzuwachen. Bestimmt ist er gleich hier.«
Freude und Angst packten mich. Raphael sah es mir
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