Innerste Sphaere
Station herumlief. Aber das war es wert gewesen – zu sehen, dass es Nadia gut ging. »Tut mir leid. Ich glaube, ich hab’s übertrieben.«
Sie drückte meine Hand und es dauerte eine ganze Weile, bis sie losließ. »Ist schon gut. Ich hole Raphael und du wartest hier.«
Ich hörte, wie Nadia die Tür aufmachte und wieder schloss. Während ich so dalag, konzentrierte ich mich darauf, ruhig zu atmen und die in Wellen anbrandende Übelkeit auszuhalten. Abgesehen von meinem körperlichen Zustand war ich irre glücklich. Nadia war wieder die Alte.
Nach ein paar Minuten war mein Kopf wieder klar und ich konnte mich aufsetzen. Raphael würde gleich da sein und dann würde ich ihm sagen, dass alles in Ordnung war. Keine Hilfe nötig. Um meine Kraft zu erproben, stand ich auf und ging ein paar Schritte. Ein bisschen zittrig, aber kein Problem.
Da fiel mir das Blatt Papier auf dem Tisch ins Auge. Woran Nadia wohl arbeitete? Ich trat an den Tisch, klar, ich sollte nicht schnüffeln, aber ich konnte mich nicht bremsen. Was eigentlich inihr vorging, war mir ziemlich schleierhaft. Als sie meine Hilfe am dringendsten brauchte, hatte ich den Kopf in den Sand gesteckt, also war die Neugier einer Freundin vielleicht nicht das Schlimmste auf der Welt. Ich drehte das Blatt um.
Liebe Lela,
danke, dass du dich so ins Zeug gelegt hast, um mich zu retten. Du bist eine echte Freundin. Das warst du schon immer, sogar als ich es nicht wirklich verdient habe. Deinetwegen war das letzte Jahr meines Lebens es wert, gelebt zu werden. Aber am Ende war das Bleiben zu schmerzlich. Ich war nur eine Kunstfigur und früher oder später wäre jeder drauf gekommen. Auch du. In mir war nichts, ich war nur eine hübsche, leere Hülle. Ich war schon immer leer und das hab ich nicht mehr ausgehalten. Jetzt bin ich hier, aber das ist auch nicht besser. Es muss aufhören. Wenn Du diese Zeilen liest, bin ich fort.
Bitte folge mir nicht.
Als ich das Wort
fort
las, war ich schon aufgestanden. Ich humpelte den Gang entlang und rief Nadias Namen, rief nach Raphael, nach Malachi, nach irgendjemandem und allen. Auf halbem Weg brach ich auf dem Korridor zusammen, kroch aber auf allen Vieren weiter und schrie nach ihr.
Ich war reingefallen.
Dass Nadia fähig sein könnte, einen solchen Plan auszuhecken, war mir überhaupt nicht in den Sinn gekommen. Das war doch gar nicht möglich. Ich hatte unbedingt glauben wollen, dass es ihr gut ging, und hatte alle Zeichen übersehen …
schon wieder
.
»Ich bin ein Idiot!«, schrie ich, schlug den Kopf gegen den Steinboden, meine Tränen vermischten sich mit dem Schmutz unter meinen Fingern und verwandelten ihn in Matsch.
Da stürmte etwas oder jemand mit explosiver Kraft in den Korridor. Ich blickte auf und sah Malachi, der auf mich zurannte. Er und seine Einheit waren noch nicht aufgebrochen. Ich streckte die Hände nach ihm aus, er zog mich hoch und drückte mich an sich.
»Sie ist weg«, platzte ich heraus, bevor er ein Wort sagen konnte. »Sie hat gesagt, sie würde Raphael holen, aber sie hat einen Brief hinterlassen. Sie ist fort.« Ich schluchzte unkontrollierbar.
Malachi legte die Hand auf meine Wange und sah mir in die Augen. »Es war ein Wächter vor der Tür. Wie ist sie entkommen?«
»Ich hab ihn weggeschickt«, flüsterte ich – plötzlich wurde mir klar, warum Amid dort überhaupt postiert gewesen war. Es war kein Witz gewesen, als er sagte, er wolle sie an der Flucht hindern. Ich war ein hochkarätiger Volltrottel. Amid war dort gewesen, weil sie nicht zum ersten Mal so eine Nummer versucht hatte. Und ich hatte diese Möglichkeit nicht mal erwogen.
»Es tut mir so leid. Ich hab nicht nachgedacht.«
»Raphael!«, rief Malachi. Er sah sich um und entdeckte einen der Wächter. »Rais, hol Raphael. Bitte beeil dich.« Er wandte sich wieder mir zu und wischte zärtlich die Tränen von meinem Gesicht. »Ich hole sie zurück. Weit kann sie nicht gekommen sein. Bitte mach dir keine Sorgen.«
Raphael kam mit heiter-gelassener Miene um die Ecke, legte aber ein flottes Tempo vor. »Lela, wie wär’s, wenn du mich begleitest?« Er schien genau zu wissen, was los war. »Malachi, ich kümmere mich um sie. Geh.«
Malachi warf Raphael einen rätselhaften Blick zu, küsste mich auf die Stirn und machte auf dem Absatz kehrt. Nach wenigen Sekunden war er um die nächste Ecke verschwunden.
Meine Knie gaben nach und Raphael fing mich auf.
»Verdammt.« Mit zusammengebissenen Zähnen versuchte ich, mich
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