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Innerste Sphaere

Innerste Sphaere

Titel: Innerste Sphaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Fine
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überleben. Wir würden arbeiten, essen, was sie uns gaben, uns anpassen und leben, und wenn wir rauskamen, würden wir nach Palästina gehen. Das war ein Traum – einer, den wir hätten wahr machen können, wenn wir rechtzeitig aus Bratislava weggekommen wären. Imi, der Freund meines Bruders – der hat es geschafft. Aber meine Familie ist geblieben, während sich die Schlinge immer enger zusammenzog.«
    Malachi wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht und schloss die Augen. »Heshel war so unerschütterlich. Unentwegt hat er mir Mut gemacht, den anderen auch. Er wäre ein großartiger Anführer gewesen. Dafür war er geschaffen.«
    Mein Herz klopfte wie verrückt und ich spürte, wie Malachis Muskeln sich immer mehr anspannten.
    »Eines Morgens mussten wir zum Appell antreten und die Aufseher waren wütend, weil jemand etwas gestohlen hatte. Was es war, weiß ich nicht mehr. Sie beschlossen, ein Exempel zu statuieren. Also begannen sie willkürlich Leute zu erschießen, nur um Terror zu machen und zu zeigen, dass sie die Stärkeren waren. Ich wankte, fühlte mich krank und schwach und mir war klar, dass sie mich aussuchen würden. Heshel sah das auch so, also hat er, er hat …«
    Malachi verstummte und rang nach Luft. Ich machte die Augen zu und atmete mit ihm. »Er sorgte für Unruhe, hustete und würgte, damit lenkte er sie ab, zog Aufmerksamkeit auf sich. Und sie …«
    Es dauerte eine Weile, bis er wieder sprach, und ich hielt ihn fest. Seine Augen waren trocken, aber man sah ihm an, wie schlimm es war, diese Erinnerungen heraufzubeschwören.
    »Danach konnte ich mir nicht vorstellen, weiterzumachen. Dass ich sterben würde, schien sowieso unausweichlich. Wir alle würden sterben, das war mir klar. Ich war wütend. So hätte ich nicht enden sollen. Ich war stark. Genau wie mein Bruder. Wir hatten eine gute Schule besucht und wir hatten Geld. Brave Jungs waren wir außerdem. Aber jetzt waren wir hier, wurden abgeschlachtet wie Vieh. Einen Ausweg sah ich nicht und ohne meinen Bruder hatte ich keine Kraft mehr zum Leben. Zwei Tage nach dem Mord an Heshel warf ich mich in den Zaun.« Er lachte traurig. »Ich dachte, ich würde ihn wiedersehen, er würde auf mich warten in Olam Haba, der kommenden Welt.«
    Abrupt stand er auf und begann, auf und ab zu gehen. »Als ich hier aufwachte, war ich entsetzt. Offensichtlich war das nicht Olam Haba. Wo befand ich mich? Scheol? Gehenna? Ein Ort für die Sünder? Aber ich hatte nichts Böses getan! Warum war ich nicht an einem schönen Ort? Ich war außer mir, weil meine naiven Erwartungen enttäuscht worden waren. Da stand ich, wach, bewusst, genau wie Nadia jetzt. Ich hatte mehr Kraft, aber gesund war ich nicht. Der einzige Unterschied zwischen uns besteht darin, dass sie selbstmordgefährdet ist, während ich gemeingefährlich war. Also verrate ich dir jetzt, welche Dummheit ich beging: Ich habe das Allerheiligste gestürmt.«
    Mir fiel die Kinnlade runter. »Du hast … was getan?«
    »Das Allerheiligste ist kaum zu verfehlen. Ich fragte einen Wächter, wo es ist. Er hat mir vom Richter erzählt. Also beschloss ich, vor den Richter zu treten und mein Recht einzufordern. Ich wollte raus, zu meinem Bruder. An den Ort, den ich nach all meinen Leiden verdient hatte.« Er hob den umgekippten Stuhl auf, stellte ihn neben das Feldbett und umklammerte die Lehne. »Als ich hineingehen wollte, stellte sich mir ein Wächter in den Weg. Ich legte ihn um und trat ein. Drei Wächter schaltete ich aus, ehe sie mich aufhalten konnten, und da war ich bereits im Gerichtssaal und lief den Mittelgang entlang.«
    »Hast du mit dem Richter gesprochen?«
    Er zog eine Grimasse. »Ja, der Richter hat mich erwartet. Er gratulierte mir dazu, dass ich an den Wächtern vorbeigekommen war. Dann fragte er mich, ob ich bereit sei, seinen Beschluss zu hören. Klar war ich das – ich rechnete mit meiner Freilassung! Wer konnte meine Geschichte anhören und keine Gnade zeigen?«
    Ich lächelte ihn traurig an. »Der Richter, nehme ich an?«
    Malachi nickte. »Er verurteilte mich zum Dienst. Dazu hat er mich verurteilt.« Er zeigte auf die Wände, auf seinen Körper.
    »Für wie lange?«
    »Bis ich bereit bin zu gehen. Bei Ana war es dasselbe. Bei Takeshi auch. Wir alle wurden verurteilt, die Wächter dieser Stadt zu führen – jahrzehnte-, womöglich jahrhundertelang, vielleicht sogar bis nach dem Tod, denn wir alle waren stark genug, uns bis zum Gerichtssaal durchzukämpfen, und dumm

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