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Innerste Sphaere

Innerste Sphaere

Titel: Innerste Sphaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Fine
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hast die Leute gefragt, ob sie sie gesehen haben.«
    »Ja.«
    Er schüttelte den Kopf. »Woher wusstest du, dass sie hier ist? Niemand auf Erden kennt diesen Ort. Sie stellen nur Vermutungen an. Fegefeuer. Hölle. Naraka. Zaoviat. Hades. Scheol. Gehenna. Alle Religionen versuchen zu erklären, was mit Menschen passiert, die sich umbringen, aber keiner ist sicher. Viele Neuankömmlinge stehen lange unter Schock, bevor sie erkennen, wo sie sind. Woher wusstest
du
, was auf dich zukommt?« Seine Arme schlossen sich fester um mich und der Klammergriff seiner Schenkel ließ auch nicht nach.
    Mein flatternder Herzschlag hätte mir fast die Luft abgeschnürt. Womöglich bekam ich keine zweite Chance, wenn ihm meine Antwort nicht gefiel, aber in meinem Gehirn war kein Platz für etwas anderes als die Wahrheit. »Ich … ich habe mal versucht mich umzubringen. Da bin ich vor dem Tor aufgetaucht und war gerade dabei durchzugehen, als ich wiederbelebt wurde. Aber seitdem hat mich dieser Ort verfolgt. Er hat mich nie ganz losgelassen. Ich hab davon geträumt. Manchmal sah ich ihn – wie einen Schatten über der realen Welt. Es hat mir höllische Angst gemacht, aber es hat bewirkt, dass ich leben wollte.«
    »Du hast die Stadt schon als Lebende durchwandert?«
    Betend, dass er mir glauben würde, nickte ich und stieß mit dem Kopf gegen sein Schlüsselbein.
    »Von so etwas habe ich gehört«, sagte er gedankenversunken. »Geister, die die Stadt durchstreifen, aber kein Teil von ihr sind. Es würde einleuchten, dass es Leute sind, die vergebens versucht haben, sich umzubringen. Aber das erklärt nicht, woher du von deiner Freundin weißt.«
    »Als Nadia starb, bekam ich Albträume und Visionen von ihr. Ich war in ihrem Kopf, sah und fühlte alles mit ihr. Ich sah, wie sie in die Stadt kam. Wie sie durch die Straßen lief, verängstigt und hungrig. Und mir fielen Dinge auf, die ich in meinen eigenen Albträumen nie bemerkt hatte.«
Ich habe gesehen, wie du Menschen getötet hast.
    »Du hast die Wächter gesehen. Du hast erkannt, wo wir unsere Waffen tragen.«
    »Ja, als ich beschloss herzukommen, dachte ich, ich müsste mich vielleicht verteidigen. Und sie.«
Gegen dich.
    »Aber diese Visionen von deiner Freundin. Hattest du diese Gabe schon vorher?«
    »Du meinst, ob ich übernatürliche Fähigkeiten oder so hatte? Ähm, nein.«
    Ein paar Minuten lang herrschte Schweigen. Ich versuchte mich ruhig zu halten, aber ich spürte seinen heißen Atem auf meiner Haut. Sein Herz schlug gegen meinen Rücken und ließ meine Eingeweidein seinem Rhythmus vibrieren. Es war zu viel. Zu viel Nähe. Zu viel Hitze. Ich konnte die gemischten Signale meines Körpers nicht deuten, ganz zu schweigen von der Wärme des seinen. Gerade als ich es nicht mehr aushielt, sagte er: »Ich werde dich langsam loslassen. Ich werde dich nicht verletzen und würde es gutheißen, wenn du auch mich nicht angreifst, obwohl ich Verständnis dafür hätte, wenn du es tätest.«
    Er breitete die Arme aus. Ich sprang vor, drehte mich um und lehnte mich gegen die Wand, den Stuhl zwischen uns.
    Malachi seufzte, den Blick auf die weißen Knöchel meiner Hände gerichtet, die die Stuhllehne umfassten. »Bitte, versuch nicht, mich damit zu schlagen.«
    »Also, was passiert jetzt?«, fragte ich, froh darüber, ruhig und gefasst zu klingen, und nicht wie eine brodelnde Mischung aus Wut, Verzweiflung und Verwirrung.
    Für einen Moment hielt er meinen Blick aus, dann sah er weg. »Ich sage es nur ungern, aber du stehst vor einer unmöglichen Aufgabe. Dreitausend Menschen kommen jeden Tag am Selbstmordtor an. Hast du nicht die Ausmaße dieser Stadt gesehen? Du könntest die Stadt jahrelang durchwandern und sie nicht finden. Und wenn du sie auf wundersame Weise doch finden solltest, gibt es nur einen Weg hier raus. Du musst vor das Gericht treten. Wenn deine Freundin noch nicht bereit für einen günstigen Urteilsspruch ist, bleibt sie hier. Ende vom Lied.«
    Ich biss die Zähne zusammen. »Ich muss sie finden. Das ist der einzige Grund, warum ich hier bin.«
    »Tut mir leid, aber das kann ich nicht erlauben.«
    Ich drückte mich gegen die Wand und sah nach, ob er das Messer immer noch in der Hand hielt. Hatte er nicht. Ich hatte ihn nur wenige Sekunden aus den Augen gelassen, und er hatte es, ohne dass ich es bemerkte, wieder weggesteckt.
    So oft schon hatte ich einzuschätzen versucht, wo andere verletzbar oder angreifbar waren, wo ihre Schwachstellen und Schwächen lagen,

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