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Innerste Sphaere

Innerste Sphaere

Titel: Innerste Sphaere Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sarah Fine
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Jungs?«
    »Tja, sie waren brave Jungs, die böse wurden.« Malachi schlang die Arme um seine Knie und blickte zum indigoschwarzen Himmel auf. »Ich war sechzehn, als ein Gesetz erlassen wurde und wir nicht mehr zur Schule gehen durften. Als ich siebzehn war, hieß es, mein Vater könne seinen Laden nicht behalten und wir müssten ins Judenviertel ziehen. Als sie uns zwangen, den Stern an unsere Kleider zu nähen, war ich achtzehn. Diese großen Veränderungen kamen auf einen Schlag, aber Tag für Tag gab es kleine. Die Ringe unter den Augen meines Vaters wurden tiefer und dunkler. Meine Mutter wurde immer dünner. Sie lachte nicht mehr. Und mein Bruder und ich verloren den Glauben daran, dass die Welt ungefährlichist. Auf der Straße gab es Banden. Niemand hinderte sie daran, uns anzugreifen und zusammenzuschlagen. Also fingen mein Bruder und seine Freunde an, sich zu wehren, einer vor allem, er hieß Imi. Imi war Ringkämpfer, Sportler, er brachte uns bei, wie man sich verteidigt. Und das haben wir eine Weile auch getan.«
    »Da hast du gelernt zu kämpfen, wie du es tust.«
    »Ja, Straßenkampf. Das hat sich in den letzten Jahren als ziemlich nützlich erwiesen.«
    In den letzten Jahren. Malachi kämpfte schon seit Jahrzehnten und offensichtlich hatte der Kampf angefangen, bevor sein kurzes Leben zu Ende ging. Auch nach seinem Tod hatte er nie seine Ruhe gehabt. Was hatte er getan, um dieses Schicksal zu verdienen? Hatte er einfach Pech gehabt?
    »Könnt ihr hier eigentlich auch mal ausspannen? Ich meine – es gibt ja wahrscheinlich keine Ferien …«
    Er lachte. »Ob ich hin und wieder in Urlaub fahren kann – ist das deine Frage? Was glaubst du, wo wir sind?« Sein Gesicht wurde ernst und traurig. »Wenn ich aus der Stadt entlassen werde, kann ich mich ausruhen.«
    »Ana sagt, dass du kein Wasser mehr trinkst und nur noch selten isst. Sie meint, es bedeutet, dass es bald so weit ist.«
    Seine Finger gruben sich in den Kies. »Ach. Sie hat es gemerkt. Tja, das ist nur ein Zeichen, keine Garantie. Aus dieser Stadt kommt man nur raus, wenn man vor den Richter tritt. Er entscheidet, wann jemand so weit ist, und sein Wort ist Gesetz. Ich mach das erst, wenn ich mir ziemlich sicher sein kann, wie das Urteil ausfällt. Es dauert nicht mehr lange – das spüre ich.« Er sah mir in die Augen und lächelte. »Aber ich habe hier noch etwas zu erledigen, oder?«
    »Danke für alles, was du für mich tust. Und für Nadia.« Ich streckte die Hand aus und berührte sein Gesicht. Als ich seine Wange streichelte, schloss er die Augen und seufzte.
    »Du musst nämlich auch bald hier raus«, sagte er leise. »Du findest hier keine Nahrung, weil du nicht hierher gehörst. Eine Weile geht das gut, aber du kannst nicht ewig hier bleiben und sie suchen. Du würdest verhungern.«
    Meine Hand sank auf meinen Schoß. »Das hat Ana auch gesagt. Also ist es wohl für uns beide wichtig, Nadia so schnell wie möglich zu finden.«
    Er schlug die Augen auf und ich tauchte ein in seinen Blick, verlor mich völlig in dieser dunkelbraunen Tiefe.
    »Für uns beide«, wiederholte er, als würde er ausprobieren, wie sich das anhörte.
    In diesem Augenblick sah ich es vor mir: Wir wandern außerhalb der Stadtmauern, Nadia ist bei uns und wir erforschen das schöne Land. Gemeinsam.

22
    Erschöpft und entmutigt sank ich auf die Stufen vor dem Wohnhaus. Wir hatten den ganzen Tag gesucht. Siebzehn Hochhäuser. Nichts.
    An jeder Tür klopften Malachi oder Ana an und traten ein. In jeder Wohnung lebte ein Mensch. Auf unsere Fragen nach Nadia wussten sie keine Antwort, auf meinen Arm warfen sie nur einen kurzen Blick. Sie waren zu sehr damit beschäftigt, auf den Fernseher zu starren. Bewegungslos am Tisch zu sitzen. Im Wohnzimmer zu weinen. Sich in der Küche vollzufressen. Sich im Bad eine Spritze zu setzen.
    Ein untersetzter Kerl in den mittleren Jahren lag im Schlafzimmer auf einem kopflosen Körper. Nach dem verräterischen zähen Schleim zu urteilen, der über die Bettkante hing und mit jeder seiner Bewegungen wackelte, hatte er den Körper selbst gezüchtet. Der Anblick war mehr, als ich verkraftete. Von einem Würgereiz geschüttelt wartete ich auf dem Hausflur. Danach meinte Malachi, wir würden besser vorankommen, wenn wir die Leute nicht mehr befragten – wenn wir also sahen, dass die Person in der Wohnung nicht Nadia war, gingen wir weiter.
    Dass die Suche zermürbend sein würde, hatte ich geahnt, aber darauf war ich nicht

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