Innerste Sphaere
auf.
»Das ist ja eine hübsche Umschreibung für sie. Damit bist du aus dem Schneider, nicht wahr? Malachi, hast du in den letzten Tagen mal deine Fehler gezählt? Wie oft du Pflicht und praktisches Denken geopfert hast, um sie zu schützen? Öfter als in den letzten siebzig Jahren, das wette ich.«
Bei Anas Worten zuckte ich zusammen. Wahrscheinlich hatte sie recht, meine Schuldgefühle, weil ich Malachi von seiner Verantwortung abhielt, wuchsen von Sekunde zu Sekunde.
»Ihr zu helfen ist richtig. Außerdem ist sie stark, sie …«
»Stark? Hast du nicht gesehen, wie sie zusammengebrochen ist, nachdem der Mann aufs Pflaster gekracht ist? Hast du sie nicht ohnmächtig bis hierher geschleppt? Hast du nicht …«
»Erzähl mir mal von deiner ersten Woche in der Stadt«, gab er zurück. »Oder soll ich dir von meiner erzählen? Jetzt sage ich dir, was ich weiß: Weder du noch ich haben uns so gut gehalten wie sie. Du vergleichst sie mit uns, wie wir jetzt sind.«
»So sollte sie auch sein, wenn sie die absurde Aufgabe zu Ende bringen will, auf die sie sich eingelassen hat«, konterte Ana.
»Sie ist etwas Besonderes – das siehst du doch auch. Deshalb warst du ja überhaupt bereit, mir zu helfen. Sie hatte Visionen von ihrer Freundin – entweder hatte sie diese Fähigkeit von vorn herein oder sie wurde dafür auserwählt. So oder so ist sie eine Ausnahmeerscheinung. Und dann wusste sie auch noch, wie es hier ist. Sie war in ihren Träumen hier unterwegs. Sie hat hier gelitten, Ana. Und sie hatte schreckliche Angst davor, wiederkommen zu müssen. Aber sie hat es trotzdem getan. Sie war bereit, ewiges Wohlbefinden und ewiges Glück zu opfern, um ihre Freundin zu suchen.«
»Und das ist der einzige Grund, warum du ihr hilfst?«
Angestrengt lauschte ich in das Schweigen hinein, das nun folgte. Die Antwort auf diese Frage interessierte mich auch brennend. Irgendwie musste er wohl reagiert haben, denn Ana sprach im nächsten Moment weiter. »Du kannst mir nichts vormachen. Dass ausgerechnet du mit dem Feuer spielst, kapier ich nicht. Und auch wenn sie was ganz Besonderes ist, ihr beide könnt nicht in alle Ewigkeit so weitermachen. Bald wird sie schwächer werden. Was tust du, wenn sie nicht aufgeben will? Wirst du sie dann aufhalten und sie zum Allerheiligsten schleppen? Wie weit würdest du gehen, um sie zu retten? Wie viel willst du opfern, bevor das hier vorbei ist?«
Ich umklammerte die Kanten der Pritsche, um den Drang zu unterdrücken, aufzuspringen und das Ohr an die Tür zu pressen.
»Wie auch immer«, sagte Ana nach einer Weile. »Ich muss jetzt los. Ich werde im Nordwesten patrouillieren, damit wenigstens einer von uns die Arbeit macht, zu der wir uns verpflichtet haben.«
Krachend fiel die Tür ins Schloss. Ich ließ mich wieder auf die Pritsche sinken und drehte mich zur Wand. Mit hämmerndem Herzen zog ich die Knie an die Brust und schloss die Augen.
Ana hatte aus ihrer Unzufriedenheit mit Malachi keinen Hehl gemacht, aber wie groß ihre Enttäuschung war, hatte ich nicht gewusst. Offensichtlich glaubte sie, dass er einen riesigen Fehler beging, wenn er mir bei der Suche nach Nadia half.
Quietschend ging die Schlafzimmertür auf. Mit leisen Schritten näherte er sich. Beinah lautlos kniete Malachi neben meiner Pritsche nieder. Ich wartete mit angehaltenem Atem darauf, ob er mich berühren würde. Ich wollte, dass er mich berührte. Dann seufzte er, als hätte er einen inneren Kampf verloren. Seine Hand fuhr sachte über meinen Rücken und seine Finger fanden die Locken, die sich am Ende meines Zopfes kringelten. Sanft streichelte er mein Haar. Ich lag reglos da, das Gesicht zur Wand, und lächelte unter Tränen. Als ich schließlich die Hand hob, um mir die Augen zu wischen, zog er abrupt seine Hand zurück. Ich drehte mich um und sah ihn an.
»Wie geht es dir?«, fragte er.
»Ich schäme mich. Tut mir furchtbar leid, dass ich durchgedreht bin.« Ich legte die Hände auf die Augen, um das Aufblitzen der Erinnerung zu unterdrücken.
Durch die Finger beobachtete ich, wie Malachi die Hand hob und sie mit geballter Faust wieder sinken ließ. Anscheinend scheute er sich, mich ohne ausdrückliche Einladung anzufassen.
Zitternd griff ich nach seiner Hand, löste seine Finger und legte seine Handfläche auf meine. Sie fühlte sich warm an. Mein Herz hörte auf zu rasen. Ich wollte mehr. Ich wollte in ihn hineinkriechen und mich verstecken.
»Ich bin von einer Klippe gefallen«, flüsterte ich,
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