Innerste Sphaere
gemacht, Clarence«, sagte der Mann und strich mir übers Haar. »Sie hat richtig Farbe. Nicht so blass wie die anderen. Sie istperfekt. Nehmen wir sie mit. Sil will sich heute Nacht einen ganzen Schub vornehmen – es geht bald los.«
Mein Herz raste.
Einen Schub
. Was, wenn ich zu spät dran kam? Was, wenn Nadia schon eine Besessene war, wenn ich ankam? Der Gedanke an Nadia half mir, mich von den Mazikin abführen zu lassen, ohne die Nerven zu verlieren. Es kostete mich aber meine ganze Selbstbeherrschung, mich nicht umzusehen, ob ich Malachi irgendwo entdeckte, Malachi, mein Retter, mein … ja. Er war so viel mehr als ein Retter und ich würde es ihm vielleicht niemals sagen können.
Nach wenigen Minuten gelangten wir zu einem riesenhaften Gebäude, das aussah wie ein altes Lagerhaus. Die Fenster in den oberen Stockwerken waren dunkel, aber aus den Kellerfenstern, die tiefer lagen als der Gehsteig, drang ein kaltes, grünlich-gelbes Licht.
Clarence und Blondie führte mich einige Stufen hinunter und öffneten mir die Tür. Clarence umklammerte mit seiner knorrigen Hand meinen Oberarm, als wir eine weitere Treppe hinuntergingen und um die Ecke bogen.
Es war ein riesiges offenes Kellergeschoss. Alle paar Meter stützten Säulen die Decke. Mitten im Raum stand eine Art Konferenztisch, Stühle gab es aber nicht. Stattdessen war er von plumpen Keramikschalen umgeben, aus denen dicke Rauchwolken zur Decke aufstiegen. Jetzt wusste ich, woher dieser ekelhafte Weihrauchgeruch stammte. An jedes Tischbein war ein Seil gebunden, dessen loses Ende in einem Knäuel auf dem Tisch lag.
Ich hatte das dumpfe Gefühl zu wissen, was das war, und wollte mich so weit wie möglich davon fernhalten.
In dem Raum hatten sich Mazikin von verschiedener Gestalt, Hautfarbe und Größe versammelt. Sie redeten und lachten, ihre Zähne blitzten, ihre Hände strichen über Arme, ihre Finger fuhren durch Haare. Männer und Frauen, Alte und Junge, alle konnten anscheinend nicht miteinander sprechen, ohne sich anzufassen. Manche rauften spielerisch, balgten sich wie Tiere auf dem Boden, rissen dabei ihre fröhlichen Gefährten um. Mindestens zwei laute, enthusiastische Paare waren direkt neben mir an der Wand zugangeund was sie taten, konnte man wirklich nicht mehr als Balgerei bezeichnen.
Ach, das ist einfach
… Ich wandte mich ab.
Und sah Nadia.
Ihre Augen waren glasig, Tränen liefen ihr über die Wangen. Ihre Haut war verquollen und grau, und ihr Haar hing ihr strähnig ins Gesicht. Mir war klar gewesen, dass sie anders aussehen würde als damals: reglos und vollkommen in ihrem Sarg. Aber das änderte nichts daran, dass mir das Herz brach. Und dass ich noch verzweifelter wünschte, sie hier rauszuholen.
Sie saß mit mehreren Menschen auf dem Boden, die das fröhliche Chaos ringsum beobachteten, aber anscheinend nicht viel davon mitbekamen. Sie sprachen nicht miteinander. Der Raum und die seltsamen Leute darin weckten offenbar nicht die geringste Neugier. Auch versuchten sie nicht zu fliehen. Vertieft in das eigene Elend hockten sie einfach da und schauten auf ihren Schoß oder in die Luft.
Clarence führte mich zu ihnen. »Setz dich hierher zu den Neulingen. Keine Sorge – ehe du dich versiehst, wirst du mit uns übrigen feiern.« Er zwinkerte mir zu und drückte schmerzhaft meinen Arm.
»Ähm, danke.« Mit schlurfenden Schritten ging ich auf die Gruppe zu. »Ich bleib hier.«
Ich drängte mich an ein paar unglücklichen Seelen vorbei, um zu Nadia zu kommen. Sie war so nah. Fast konnte ich sie anfassen. Geschafft. Wahrscheinlich würde sie sich aufregen, würde staunen, wenn ihr klar wurde, dass ich hier bei ihr in der Stadt war, dass auch ich gestorben war. Sie würde wütend auf mich sein, weil ich mich in diese Lage gebracht hatte, aber wenn sie begriff, dass ich ihretwegen hergekommen war, würde das alles verändern. Sie würde diesen glasigen Blick verlieren und wieder zur Besinnung kommen. Ich streckte die Hand nach ihrem Arm aus.
»Wo hast du die her?« Sils Stimme ließ mich erstarren. Wie hatte ich nur vergessen können, wo ich mich befand? Ich drehte mich zur Wand, wusste aber, dass alles nichts half. Mir war klar, dass Sil genau in diesem Augenblick auf mich deutete.
»Hab sie auf der Straße gefunden, keine zwei Blocks von hier. Eine Wucht, was?«, erklärte Clarence und schlurfte näher an Sil heran. »Mädchen mit den Haaren. Komm her«, säuselte er voller Stolz über seine Beute. Er packte mich am Arm
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