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INRI

INRI

Titel: INRI Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Moorcock
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erklärte sie ihm voller Sorge. »Du versetzt mich so in Spannung.«
    »Was ist los? Kannst du mich nicht lieben, wie ich bin? So bin ich nun mal. Ich bin nicht Parzival.«
    »Du läßt dich gehen, Karl.«
    »Ich versuche nur, dir zu zeigen, wie ich wirklich bin.«
    »Aber du bist nicht wirklich so. Du bist lieb - gut - freundlich…»
    »Ich bin ein mich selbst bemitleidender Versager. Nimm mich als das oder laß es!«
    Sie ließ es. Sie fuhr zwei Tage später nach Hause zu ihren Eltern. Er schrieb ihr und erhielt keine Antwort. Er fuhr hin, um mit ihr zu sprechen, aber ihre Eltern sagten, sie sei nicht zu Hause.
    Mehrere Monate fühlte er sich schrecklich verloren und verwirrt. Warum hatte er ihre Beziehungen absichtlich zerstört? Weil er wollte, daß sie ihn so akzeptierte, wie er war, nicht wie sie ihn sich vorstellte. Aber angenommen, sie hatte recht? Hatte er absichtlich die Chance, etwas Besseres zu sein, zurückgewiesen? Er konnte es nicht sagen.
    Einer der Jünger des Täufers holte ihn eine Stunde später ab und führte ihn zu dem Haus auf der anderen Seite des Tals.
    Es waren nur zwei Räume in dem Haus: einer zum Essen und einer zum Schlafen.
    Johannes begrüßte ihn in dem kaum möblierten Eßraum. Er winkte ihm, sich auf die Baumwollmatte hinter dem niedrigen Tisch zu setzen, auf dem das Essen bereitgestellt war.
    Er setzte sich hin und kreuzte die Beine. Johannes setzte sich ihm gegenüber und zeigte lächelnd mit der Hand auf das Essen. »Fang an!«
    Das Gericht aus Honig und Heuschrecken war zu süß für seinen Geschmack, aber es war eine willkommene Abwechslung von Gerste oder Ziegenfleisch.
    Johannes der Täufer aß mit Appetit. Die Nacht war hereingebrochen, und der Raum wurde von Lampen erhellt, die aus ölgefüllten Schalen mit darin schwimmenden Dochten bestanden. Von draußen drangen leises Gemurmel und das Stöhnen und die Rufe der Betenden herein.
    Glogauer tauchte wieder eine Heuschrecke in die Schüssel mit Honig. »Warum wünschtest du mich zu sehen, Johannes?«
    »Weil es Zeit ist.«
    »Zeit wofür? Planst du, die Bevölkerung von Judäa gegen die Römer zu führen?«
    Dem Täufer schien die direkte Frage ungelegen zu kommen. Es war die erste dieser Art, die ihm Glogauer gestellt hatte.
    »Wenn es Adonais Wille sein sollte«, sagte er, ohne aufzusehen, während er sich über die Honigschüssel beugte.
    »Wissen die Römer das?«
    »Ich bin nicht sicher, Immanuel, aber Herodes, der Blutschänder, hat ihnen zweifellos erzählt, daß ich gegen die Ungerechten predige.«
    »Und doch verhaften die Römer dich nicht.«
    »Pilatus wagt es nicht - nicht, seit die Petition an Kaiser Tiberius gesandt wurde.«
    »Petition?«
    »Ja, die von Herodes und von den Pharisäern unterschrieben wurde, als Pilatus, der Prokurator, Votivtafeln im Palast in Jerusalem aufstellte und den Tempel zu schänden versuchte. Tiberius erteilte Pilatus eine Rüge, und seit der Zeit ist der Prokurator, obwohl er die Juden immer noch haßt, etwas vorsichtiger im Umgang mit uns.«
    »Sag mir, Johannes, weißt du, wie lange Tiberius in Rom schon regiert?« Er hatte bis jetzt keine Gelegenheit gehabt, dies noch einmal zu fragen.
    »Vierzehn Jahre.«
    Es war 28 nach Christus - fast ein Jahr vor dem Datum, an dem nach der übereinstimmenden Meinung der meisten Gelehrten die Kreuzigung stattfand; und seine Zeitmaschine war zerschlagen.
    Jetzt plante Johannes der Täufer einen bewaffneten Aufstand gegen die römischen Besatzer, aber, wenn man den Evangelien glauben durfte, müßte er bald durch Herodes enthauptet werden. Gewiß hatte in dieser Zeit keine Rebellion größeren Ausmaßes stattgefunden.
    Selbst diejenigen, die behaupten, daß der Einzug Jesu und seiner Jünger in Jerusalem und die Invasion des Tempels einfach Handlungen bewaffneter Rebellen gewesen seien, hatten keine Hinweise dafür gefunden, daß Johannes der Täufer eine ähnliche Revolte angeführt haben könnte.
    Wieder kam ihm in den Sinn, daß er Johannes warnen könnte. Aber würde der Täufer ihm glauben? Würde er es nicht vorziehen, ihm nicht zu glauben, ganz gleich, was für Beweise ihm vorgelegt würden?
    Glogauer schätzte den Täufer inzwischen sehr. Der Mann war ganz eindeutig ein hartgesottener Revolutionär, der seit Jahren den Aufstand gegen die Römer plante und sich langsam eine genügend große Gefolgschaft aufgebaut hatte, um den Versuch erfolgversprechend zu machen.
    Er erinnerte Glogauer stark an den Typus eines Partisanenführers im

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