INRI
versteht…«
»Und um da einzuhaken…«, sagte Mrs. Rita Blen ungerührt. »Ich glaube, es ist Zeit für eine Tasse Tee, meint ihr nicht?«
Die anderen Mitglieder stimmten ihr begeistert zu.
Mrs. Rita Blen war ein wenig taktlos gewesen. Headington war beleidigt aufgestanden und gegangen.
»Ach, was«, sagte sie. »Ach was…«
Aber die anderen nahmen es ihr übel. Headington war schließlich sehr bekannt und gab der Gruppe ein gewisses Prestige.
»Ich hoffe, er kommt wieder«, hatte Glogauer gemurmelt.
Er litt schon seit seiner Jugend unter Migräne. Ihm wurde dann schwindelig, er mußte brechen und wurde vollkommen von Schmerzen beherrscht.
Oft begann er während der Anfälle eine andere Identität anzunehmen - die einer Person aus einem Buch, das er gerade las, eines Politikers, der zu der Zeit viel genannt wurde, einer historischen Gestalt, wenn er kurz zuvor eine Biographie gelesen hatte.
Das einzige, was alle kennzeichnete, waren ihre Ängste.
Heyst in Victory war mit den drei Männern beschäftigt gewesen, die auf die Insel kamen, hatte sich gesorgt, wie er sie aufhalten, wie er sie möglichst töten könnte (als Heyst war er ein etwas verfeinerterer Charakter geworden als Conrads). Nachdem er die Geschichte der russischen Revolution gelesen hatte, hielt er sich für Sinowjew, den Minister für Verkehrs- und Telegrafenwesen, dem es oblag, Ordnung in das Chaos von 1918 zu bringen, und der sich dabei aber auch hüten mußte, daß er nicht nach wenigen Jahren einer Säuberung zum Opfer fiele.
Er lag dann in einem verdunkelten Zimmer, mit gräßlichen Kopfschmerzen, und konnte nicht richtig schlafen, weil er keine Lösung für die rein hypothetischen Probleme fand, die ihn verfolgten. Er verlor den Sinn für seine eigene Identität und die Umstände völlig, wenn niemand kam, um ihn daran zu erinnern, wer und wo er war. Monica hatte es belustigt, als er ihr das erzählte.
»Eines Tages«, sagte sie, »wirst du aufwachen und fragen, wer du bist - und ich werde es dir nicht sagen.«
»Du bist mir eine feine Sozialarbeiterin!« hatte er lachend gesagt.
Keiner von beiden sorgte sich wegen dieser harmlosen Halluzinationen. In seinem alltäglichen Leben wurde er von keinen abnorm schizoiden Tendenzen geplagt, außer daß er seine Rolle manchmal ein wenig änderte, um sie der Gesellschaft anzupassen, in der er sich befand; er ertappte sich dabei, daß er unbewußt Nuancen der Sprechweise anderer Leute nachahmte, aber ihm war bewußt, daß das alle Leute bis zu einem gewissen Grade tun. Das gehört zum Leben.
Manchmal wanderte er umher und wunderte sich darüber, wie die Persönlichkeit anderer Leute sich seiner eigenen überlagerte.
Einmal war er in einem Pub, als er betrunken war, plötzlich vom Tisch aufgesprungen, hatte die Arme geschwenkt, war auf und nieder gesprungen und hatte Monica angegrinst. »Sieh mich an!« hatte er gesagt. »Sieh - die Koralleninsel…«
Sie hatte ihn ärgerlich angesehen. »Was ist jetzt mit dir los? Sie werden uns hinauswerfen, wenn du dich so benimmst.«
»Ich bin's doch nur, bin über's Meer gekommen, ich bin Barnacle Bill, der Seemann«, sang er.
»Du verträgst nicht viel Alkohol, Karl, das ist dein Problem…«
»Ich vertrage zuviel - das ist mein Problem.«
»He, was soll das?« fragte ein Mann an der Bar, dessen Ellbogen er angestoßen hatte.
»Ich wünschte, ich wüßte es, mein Freund. Ich wünschte, ich wüßte es.«
»Komm, Karl!« Sie war aufgestanden und zupfte an seinem Ärmel.
»Das Leben jedes Mannes verkleinert mich«, sagte er, während sie ihn zur Tür hinausschleppte.
Pubs und Schlafzimmer; Schlafzimmer und Pubs. Er schien den größten Teil seines Lebens im Halbdunkel zu verbringen. Selbst im Buchladen war es meistens düster.
Es hatte natürlich Tage draußen gegeben - Sonnentage und helle Wintertage -, aber all seine Erinnerungen an Monica standen vor dunklen Hintergründen irgendeiner Form. Sie stapften durch schmutzigen Schnee im Park unter diesem typisch englischen Himmel, dem schweren, bleigrauen Himmel.
Ganz gleich zu welcher Stunde, sie schienen immer in der Dämmerung miteinander gelebt zu haben, nach diesen ersten Begegnungen im Sommer, bevor sie miteinander geschlafen hatten.
Er hatte einmal gesagt: »Ich habe einen zwielichten Geist…«
»Wenn du einen getrübten Geist meinst, stimme ich dir voll zu«, hatte sie geantwortet.
Er ignorierte ihre Bemerkung. »Es ist meine Mutter, glaube ich. Sie hatte nie einen klaren Begriff
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