INRI
konnte nichts mehr sagen. Wenn auch andere den Glauben des Täufers teilten, konnte er möglicherweise etwas tun.
Glogauer spürte wieder die Hochstimmung des letzten Abends, und das breite Lächeln kam ungewollt wieder auf seine Lippen.
Der Täufer begann zu lachen, unsicher zuerst, aber dann gelöster.
Glogauer fing auch an zu lachen, konnte sich nicht halten, mußte nur ab und zu pausieren, um Luft zu schnappen.
Es war vollkommen widersinnig, daß er es sein sollte, der mit Johannes dem Täufer Christus den Weg bereiten sollte.
Aber Christus war noch nicht geboren. Vielleicht wurde Glogauer das allmählich klar, ein Jahr vor der Kreuzigung.
Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Johannes zeugt von ihm, ruft und spricht: Dieser war es, von dem ich gesagt habe: Nach mir wird kommen, der vor mir gewesen ist; denn er war eher als ich.
Johannes 1, 14-15
Es war ungemütlich heiß.
Sie saßen im Schatten der Cafeteria und beobachteten in der Ferne ein Cricketspiel.
In der Nähe saßen zwei Mädchen und ein Junge auf dem Rasen und tranken Orangensaft aus Plastikbechern. Eines der Mädchen hatte eine Gitarre auf dem Schoß liegen, es stellte den Becher ab und begann zu spielen und mit hoher, zarter Stimme ein Volkslied dazu zu singen.
Karl versuchte den Text zu verstehen. Am College hatte er eine Vorliebe für Volksmusik entwickelt.
»Das Christentum ist tot.« Monica schlürfte ihren Tee. »Die Religion stirbt. Gott wurde 1945 getötet.«
»Es könnte eine Wiederauferstehung geben«, sagte er.
»Hoffentlich nicht. Die Religion wurde aus der Angst geboren. Das Wissen vernichtet die Angst. Wenn es keine Angst mehr gibt, kann die Religion nicht überleben.«
»Du glaubst, es gibt keine Angst in unseren Tagen?«
»Nicht mehr dieselbe Angst, Karl.«
»Hast du dich nie mit der Idee des Christus beschäftigt?« fragte er sie, den Kurs wechselnd. »Was die für die Christen bedeutet?«
»Die Idee des Traktors bedeutet dasselbe für einen Marxisten«, erwiderte sie.
»Aber was kam zuerst? Die Idee oder die Wirklichkeit des Christus?«
Sie zuckte die Achseln. »Die Wirklichkeit, wenn das von Belang ist. Jesus war ein jüdischer Aufrührer, der eine Revolte gegen die Römer organisierte. Er wurde für seine Bemühungen gekreuzigt. Das ist alles, was wir wissen, und mehr brauchen wir auch nicht zu wissen.«
»Eine große Religion kann nicht so simpel begonnen haben.«
»Wenn die Leute eine brauchen, machen sie eine große Religion aus den unwahrscheinlichsten Anfängen.«
»Das ist ja gerade, was ich meine, Monica.« Er gestikulierte wild, und sie rückte ein wenig von ihm ab. »Die Idee ging der Wirklichkeit Christi voraus.«
»Oh, Karl, red nicht weiter! Die Wirklichkeit Jesu ging der Idee Christi voraus.«
Ein Paar ging vorbei und sah sie neugierig an, als sie miteinander stritten.
Monica bemerkte sie und verstummte.
»Warum bist du so wild darauf, die Religion zu verurteilen und abfällig über Jung zu reden?« fragte er.
Sie stand auf, und er erhob sich auch, aber sie schüttelte den Kopf.
»Ich geh nach Hause, Karl. Bleib du hier! Wir sehen uns in einigen Tagen.«
Er sah ihr nach, während sie auf dem breiten Weg dem Parktor zuschritt: Vielleicht schätzte er ihre Gesellschaft, dachte er, weil sie bereit war, genauso heftig zu streiten wie er - oder jedenfalls fast so heftig.
Vampire.
Wir sind ein Paar.
Als er am nächsten Tag von der Arbeit nach Hause kam, fand er einen Brief vor.
Sie mußte ihn geschrieben haben, nachdem sie ihn verlassen hatte, und noch am selben Tag aufgegeben haben. Er öffnete ihn und begann zu lesen.
Lieber Karl,
Gespräche scheinen keine große Wirkung auf Dich zu haben. Weißt Du, es ist, als ob Du den Klang der Stimme hörtest, den Rhythmus der Wörter, ohne je zu hören, was man Dir mitzuteilen versucht.
Du bist ein wenig wie ein sensibles Tier, nehme ich an, das nicht versteht, was man ihm sagt, aber spürt, ob die Person, die zu ihm spricht, freundlich oder zornig ist und so weiter. Deshalb schreibe ich Dir - um zu versuchen, Dir meine Gedanken mitzuteilen. Wenn wir zusammen sind, reagierst Du zu sehr gefühlsmäßig.
Er lächelte darüber. Es war gerade einer der Gründe, warum er so gern mit ihr zusammen war, daß sie meistens leidenschaftlich reagierte.
Du machst den Fehler, das Christentum als etwas zu betrachten, das sich
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