Ins dunkle Herz Afrikas
großer Mann, und der Boden war schon matschig
-, erstreckte sich der Fluss vor ihnen. Träge floss er um runde Felsen, die wie Trittsteine im Bett verstreut lagen, dichtes Grün säumte das Ufer, das auf der gegenüberliegenden Seite ziemlich steil anstieg. Ein Buschbock, der im Schutz des Schilfs getrunken hatte, stob aufgeschreckt davon, und zwei Geier, die auf einer Sykomorenfeige hockten, wandten ihnen ihre Köpfe zu und verfolgten jeden ihrer Schritte.
»Wo sind wir?«, fragte sie, »wie heißt der Fluss?« »Keinen Schimmer«, antwortete Isabella, »könnte der Schwarze Umfolozi sein oder vielleicht ein Nebenarm ...« Auf Geheiß des Dreifingrigen sprangen sie von Stein zu Stein. Es war gefährlich, denn die meisten waren nass und glitschig, nur die größten hatten eine trockene Oberfläche. Susi hinter ihr rutschte plötzlich ab und fiel quietschend ins Wasser. Eine Luftblase blähte die weißen Stoffbahnen ihres Rocks auf, so dass sie auf dem gelben Wasser trieb wie eine große weiße Blüte. Wie ein Kind patschte sie mit beiden Händen darauf und weinte. »Ich will nach Hause, ich kann nicht mehr!«, schluchzte sie, »ich hab Angst, und ich bin durs-üg und müde, und ich will jetzt nach Hause!« Das Letzte war ein Aufschrei.
Aus den Augenwinkeln erhaschte Henrietta eine Bewegung, ein grauer, langer Schatten glitt pfeilschnell die Böschung hinunter, Wasser spritzte auf.
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»Aii, ein Krok!«, schrie Isabella und sprang mit der Behändigkeit einer Bergziege über die Felsen davon.
»Holt sie aus dem Wasser! Schnell!«, befahl Henrietta den Männern, ohne auch nur für eine Sekunde darüber nachzudenken, wem sie das befahl, und folgte Isabella. Und weil sie es gewohnt waren von dem Tag an, als sie geboren wurden, den Befehlen der Weißen widerspruchslos zu gehorchen, taten die Zulus es auch dieses Mal. Zwei der Männer packten Susi an den Armen und zerrten sie von Stein zu Stein zum Ufer, den Abhang hoch, bis sie sie auf einem Felsvorsprung absetzten. Der Busch wuchs hier spärlicher, Zweige knackten unter ihren Füßen. Sie hörte ein trockenes Schaben, wie von Schuppen auf Stein, und erstarrte innerlich. Aber es war wohl nichts als Su-sis stoßweises Keuchen, die sich langsam aufrichtete. Sie tat zwei, drei wackelige Schritte und blieb dann plötzlich stehen. »Mit Krok, meinst du damit ein Krokodil?«
Ihre Stimme rutschte nach oben weg.
»Du bist hier in Afrika, je eher du das begreifst, desto besser für uns alle.«
Der Schreck, der ihr noch in den Gliedern saß, ließ ihre Worte schroffer klingen, als sie beabsichtigt hatte.
Susi bekam einen hysterischen Lachkrampf. »Ein Krok - Krok -Krokodil, nein, wie komisch!« Schluchzend sank sie auf das trockene Gras, Tränen liefen ihr übers Gesicht, vermischten sich mit dem Speichel, der ihr aus dem aufgerissenen Mund tropfte. Isabella war mit einem Schritt neben ihr und versetzte ihr eine schallende Ohrfeige.
»Ha - ha - ha !«, machte Susi, vergrub ihren Kopf in den Armen und plärrte los.
Einer der Männer griff grob nach ihr, doch Henrietta kam ihm zuvor und nahm Susi in die Arme. »Es ist ja gut, es ist nichts passiert.« Sie streichelte die nassen Locken. Susis Haut war nass vor Schweiß, ihr süßliches Parfüm dadurch unangenehm verändert. »Susi, schnell, reiß dich zusammen, du bringst uns sonst alle in Gefahr«, flüsterte sie auf Deutsch und schob die heruntergerutschten Spaghettiträger von Susis quittengelbem Oberteil wieder hoch, zog den verdreckten Lei-272
nenrock gerade. »Ganz ruhig.« Als sie spürte, dass sich die zitternden Muskeln unter ihren Händen entspannten, ließ sie Susi vorsichtig los. Die Männer bedeuteten ihnen schweigend, weiterzugehen. Sie setzten sich wieder in Bewegung.
Der Weg stieg an, lange Zweige mit nähnadelgroßen Dornen, immer einer gerade, der andere zum Haken gebogen, griffen nach ihnen. »Wag-'n-bietje«, murmelte Isabella hinter ihr. »Was?« Henrietta drehte sich zu ihr.
»Der Wart-ein-bisschen-Busch, die Büffeldornakazie«, erklärte ihre Cousine und deutete auf einen riesigen Hakendorn, der sich in ihr T-Shirt gebohrt hatte und sie fes hielt, »guter Name, was?« Sie antwortete nicht, ihr war nicht nach Konversation zu Mute. Ein kahler Buckel ragte aus dem Gestrüpp wie die Tonsur eines Mönches und erlaubte ihr einen freien Blick. Schwere Regenwolken marschierten von Südosten her über den Himmel, das Tal unter ihr lag bereits in ihrem Schatten »Das sieht nach einem Unwetter aus«, sagte
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