Ins dunkle Herz Afrikas
regendurchweichte Uferböschung unterhöhlt, und sie musste sich an den glatten Ästen der Flussweiden festhalten, um nicht abzurutschen. Fliegen- und Mückenschwärme fielen über sie her, eine Herde Affen tobte schimpfend durch die Baumkronen.
»He, warte, Henrietta!«, vernahm sie Susi, aber sie ging weiter, plötzlich sicher, dass es Menschenstimmen waren, die sie da hörte, nicht die von Vögeln, konnte die Worte aber nicht verstehen, die Sprache nicht erkennen.
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Dann verstand sie etwas, stand regungslos da, lauschte mit angehaltenem Atem.
»Komm zurück!«, hörte sie eine weibliche Stimme auf Deutsch, es schien die einer jungen Frau zu sein. »Verdammt, sei nicht so stur, das ist zu gefährlich!« Die Stimme stieg. »Hier gibt es massenweise Krokodile, und so ein Vieh hat dich gefressen, ehe du deinen arroganten Hintern auch nur nass gemacht hast!« Die Stimme klang wie Julias. Es musste eine Täuschung ihrer überreizten Sinne sein, was sie da hörte. Sie rutschte aus und glitt auf ihrem Hinterteil die leicht geneigte Uferböschung hinunter und landete bis zu den Knien im Wasser, sie konnte gerade noch den Ast einer wilden Feige ergreifen, sonst wäre sie weggespült worden. Nun vermochte sie um die Biegung zu sehen.
Der Fluss verschwand in einer engen Schleife um den nächsten Berg, in der entstandenen Bucht hatte er einen großen Teil des flachen Ufers geschluckt, und sie schätzte seine Breite jetzt auf gut sechzig Meter. Etwas flussaufwärts teilte sich das Wasser, eine kleine Insel hatte sich gebildet, auf der ein paar niedrige Büsche von zwei iLala-palmen überragt wurden. Sich an einer festhaltend, so nahe, dass sie einen Kratzer in ihrem Gesicht erkennen konnte, stand Julia. »Julia?«, flüsterte sie entgeistert, »wieso Julia?« Ihr wurde schwindelig. In ihrem Kopf war ein Brummen, wie von einem überhitzten Motor.
Sie stand regungslos da und versuchte zu begreifen, dass ihre Tochter jetzt hier mitten im reißenden Krokodilfluss im Busch im Norden Natals stand und nicht in Hamburg war. Der Fluss zerrte hungrig an einem heftig schaukelnden Schlauchboot, das offenbar an einer der Palmen festgebunden war. Julia starrte wie gebannt zu ihrem Ufer herüber. Sie folgte ihrer Blickrichtung und entdeckte Rarsten. Bis zur Brust im Wasser, watete er, sich mit zwei kräftigen Stöcken gegen die Strömung stemmend, langsam ihrem Ufer entgegen. Sie sah, dass er sorgfältig vor jedem weiteren Schritt nach Halt im Flussgrund stocherte, minutenlang pausierend, um sich gegen einen besonders heftigen Strudel zu stemmen. »Julia!«, schrie sie, aber der Wind verwehte ihren Ruf julia reagierte
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nicht. Unvermittelt tauchte ein Mann hinter den zwei Palmen auf. Ihr Herz setzte mehrere Schläge aus, als sie ihn erkannte. lan! »lan!« Ihre Stimme überschlug sich, aber auch er reagierte nicht. Er stand da - hellblaues Hemd mit aufgekrempelten Ärmeln über den Jeans hängend -, die Arme hatte er in die Seite gestemmt, während er in angespannter Haltung Kamen beobachtete. Sie steckte zwei Finger in den Mund und pfiff, dreimal kurz - ihr Signal, und das riss ihm den Kopfhoch.
Über die schäumende, rötlich gelbe Wasserfläche sahen sie sich an, und der Rest der Welt hörte auf, für sie zu existieren, alle Geräusche verloren sich im Hintergrund. Nur leuchtende Helligkeit lag noch zwischen ihnen. Es war wie damals, an dem klaren Märztag 1968, als sie sich am Ufer des Genfer Sees über das spiegelnde Wasser hinweg wieder ins Gesicht blickten. Das Ende ihrer Flucht.
Irgendwann begann sich die Welt wieder zu drehen, der Fluss rauschte, ein Bokmakierie warnte, und dann ging alles sehr schnell. Karsten watete zurück, es gab jedoch einen bangen Moment, als er vor ihren Augen abrutschte und unter den Wellen verschwand, begleitet von Julias schrillem Aufschrei. Doch er wurde gegen einen Felsen geworfen, strauchelte, fand wieder Halt und gelangte im Zickzack durch seichtere Stellen zu der Insel, auf der lan und Julia warteten.
Erst hangelten sich Julia und Karsten im Schlauchboot, das vorn und hinten durch Seilschlaufen zwischen einem Baum an der gegenüberliegenden Böschung und einem auf der Insel gespannten Tau vertäut war, zurück in Sicherheit, dann zog lan das Boot wieder zu sich und folgte ihnen.
Auf der anderen Seite erblickte sie nun auch noch Jan und Neu, und sie war zu überwältigt von allem, um noch Verwunderung darüber zu verspüren.
»Henrietta!« Susis Stimme ganz
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