Ins dunkle Herz Afrikas
besorgt hoch. Eine blauschwarze Wolkenwand schob sich allmählich über die Baumkronen. »Sieht ergiebig aus«, Neils Unruhe war deutlich, »und da hinten scheint es schon zu regnen. Wenn wir jetzt erneut Sturm bekommen, sind wir in Schwierigkeiten.« Die Sonne wurde rasch von der Schwärze verschluckt, und der Hubschrauberpilot kam auf sie zu. »Wir müssen los, und zwar sofort. Ich kann aber nur drei Leute mitnehmen. Tut mir Leid, Leute, zu viel Gewicht. Ich habe nicht mehr genug Treibstoff, die Suche hat zu lange gedauert.«
»Wir fahren, du fliegst«, bestimmte lan und schob sie vorwärts, »und Susi und Ron dann weiter ins Krankenhaus.« Erst jetzt sah Henrietta den Geländewagen, der unter einer Schirmakazie parkte, an dessen Steuer eine ihr unbekannte junge Frau saß. Jetzt stieg sie aus und kam ihnen entgegen. Sie war etwa Anfang zwanzig, groß, sportlich, kurze dunkle Haare, sonnenbraune Haut. Ihr weißes Leinenhemd steckte lässig in Designerjeans, um ihr Handgelenk lag ein breiter goldener Armreif, und an ihrem Ringfinger funkelte ein großer Solitär.
»Sieh mal, was hier so im Busch herumkriecht«, raunte ihr Jan halblaut ins Ohr, »klasse, was?«
»Der Klunker am Finger kann doch unmöglich echt sein«, stichelte Julia.
Neu hob amüsiert die Brauen. »Jill Court würde nie unechten Schmuck tragen!
Aber ich hab dir ja gesagt, du hast kaum Chancen, Jan, das ist ein Verlobungsring.«
»Wo ist der Kerl, ich fordere ihn zum Duell heraus«, scherzte Jan, doch Henrietta hörte sein Bedauern deutlich. »Das ist Jill Court«, stellte lan vor,
»ohne sie hätten wir euch nie gefunden! Sie ist hier aufgewachsen, kennt jeden Stein und jeden Baum
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hier und die meisten der Leute. Wir haben es mit einem geliehenen Allradfahrzeug bis zu ihrer Gästefarm geschafft, die wir als Basis für die Suche mit dem Hubschrauber benutzt haben.« »Hallo, Jill, Ron Cox hat mir von dir erzählt«, sie lächelte schwach, »ich werde mir noch überlegen, wie ich dir danken kann - aber jetzt bin ich müde, so bodenlos müde. Entschuldige -
bitte.« Ihre Worte kamen schleppend, als gehorche ihr die Zunge nicht mehr, sie konnte sich kaum noch auf den Beinen halten und lehnte ihren Kopf an lans Schulter. Ihre Knie knickten ein, und hätte er sie nicht festgehalten, wäre sie zu Boden gesunken.
»Das ist die Reaktion«, hörte sie Rons Stimme, »nichts, was ein heißes Bad und eine Nacht Durchschlafen nicht kurieren könnten. Trotzdem sollte sie sich bald von einem Arzt untersuchen lassen.« Sie drehte sich um. Er saß auf einem Baumstamm, und die Anstrengung der letzten Stunden hatte tiefe, weiße Furchen in sein Gesicht gegraben, die wie Klammern um seinen Mund lagen. Susi stand hinter ihm, stützte ihn. »Also hat Judy tatsächlich die Court-Farm erreicht.«
»Stimmt«, bestätigte lan, »schon gestern. Sie berichtete, dass der Doktor von Marys Männern niedergeschlagen worden sei und dass sie eindeutig Stimmen von Frauen gehört habe, die Deutsch sprachen, wie die Missionare auf ihrer Station. Sie konnte ziemlich genau beschreiben, wo dieses Umuzi lag, da sie Marys Vater kannte. Aber unser Pilot, der seinen Hubschrauber stundenweise zu Rundflügen über Natal vermietet, weigerte sich zu fliegen, solange der Sturm tobte.«
»Meine Güte, Ron, wer hat dich denn so zugerichtet?« Mit bestürzter Miene lief Jill zu ihrem Wagen und kam mit dem Verbandskasten zurück. »Kann mir mal jemand helfen?«, rief sie, und Julia trat zu ihr. »Ich bin Ärztin, das heißt fast, in ein paar Monaten mach ich das dritte Staatsexamen, dann bin ich Frau Doktor.« Sie kniete sich vor Ron, löste mit kompetenten Griffen die blutigen, verdreckten Verbände ab. »Er muss ins Krankenhaus, und zwar sofort!« »Wenn ihr noch lange trödelt, müsst ihr zu Fuß gehen«, warf der 355
Hubschrauberpilot ein, »in das Wetter flieg ich nicht rein!« Er hielt die Tür zur Passagierkabine auf.
Irgendetwas schnappte in Henrietta wie ein zu straff gespanntes Seil, unsinnige Angst überfiel sie plötzlich. Sie würde wieder von lan getrennt werden, wieder auf ihn warten müssen. Das nicht - ich kann nicht mehr, dachte sie, ich kann nicht mehr! »Ich fahre mit!«, sagte sie laut. Ihr Ton war so, dass kein Widerspruch von lan kam. Der Verband an Rons Oberschenkel zeigte einen handtellergroßen, frischen roten Fleck. Jan und Kamen hakten ihn behutsam unter, hoben ihn in die Hubschrauberkabine, Susi stieg zu ihm. Der Pilot schloss die Tür. »Wir müssen
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