Ins Eis: Roman (German Edition)
Bilder von Fredrik aufzutun. Im August hatte ich ihn mit Zeitzeugen von damals zusammenbringen wollen, aber diese Treffen fanden schon nicht mehr statt. Es tut mir leid, ich hätte dich vielleicht anrufen sollen, aber ich glaubte nicht, dass das Album nach seinem Tod noch aktuell wäre.«
»Ist es auch nicht. Das war einzig und allein Kristoffers Projekt.«
»Eine schöne Idee. Fredrik hätte sich sehr gefreut.« Ingrid blickte auf die Uhr. »Kirsten, mein Mann wartet auf mich, ich muss jetzt leider los. Wenn du noch Fragen hast«, sie kritzelte eine Telefonnummer auf einen Zettel, »dann ruf mich an. Ansonsten sehen wir uns nächste Woche.«
»Wirst du am gesamten Geburtstagsprogramm teilnehmen?«
»Ich denke ja. Vielleicht war Fredrik auch nicht ganz selbstlos mit seiner Einladung: Ich glaube, er denkt, eine Ärztin dabeizuhaben, wäre für die Gruppe eine Beruhigung. Fredrik hat mich schon gewarnt, ich solle mich auf hysterische Nachfragen zu Frostbeulen einstellen, kaum dass jemand mal zehn Sekunden keine Handschuhe anhatte.«
»Darauf kannst du wetten. Die Damen der Familie sind eher Geburtstagspartys mit vorgewärmten Tellern gewohnt.«
»Und die Damen sind …?«
Kirsten zählte an den Fingern ab. »Da hätten wir zunächst einmal Fredriks Ehefrau Elisabeth. Sie ist seine zweite Frau, nicht die Mutter von seinen Söhnen. Sie und Fredrik haben keine Kinder, aber das weißt du wahrscheinlich. Außerdem kommen Fredriks Schwägerin Tanja und meine Schwägerin Monika. Mit dir sind wir fünf Frauen. Übrigens wirst du nicht das einzige Nicht-Familienmitglied sein. Peter Domhoff wird ebenfalls kommen, er arbeitet in der Bank und ist so etwas wie Fredriks Protegé. Damit seid ihr als Freunde der Familie zu zweit.«
»Gut zu wissen, und nett, dass du das sagst. Wenn Monika deine Schwägerin ist, dann ist sie die Frau von Fredriks älterem Sohn – Erland, korrekt? Der auch kommen wird?«
»Ja, genau.«
»Und Tanja? Wie ist sie mit Fredrik verwandt?«
»Die beiden sind nicht blutsverwandt. Tanja ist die Frau von Elisabeths Bruder Hartmut, also Fredriks Schwägerin. Wenn du sie ärgern willst, unterstell ihr einfach, sie wäre direkt mit Fredrik verwandt. Nichts hasst sie mehr.«
»Das klingt nach familiären Komplikationen.«
»Ich bezweifle, dass Fredrik solche zulassen wird.«
»Ja, er ist ein starker Charakter.« Ingrid erhob sich. »Ich freue mich jedenfalls, alle kennenzulernen. Das wird bestimmt eine ereignisreiche Woche.«
»Ingrids Vater starb, als sie ungefähr so alt war wie Jonas jetzt«, erzählte Fredrik beim Abendessen. »Ich habe nie vergessen, wie sie an seinem Bett stand und von ihrer Mutter wissen wollte, weshalb ihr Papa krank sei. Das war einer der Momente, wo du dich fragst, ob die Mutter das Kind oder das Kind die Mutter an der Hand hält. Schrecklich. Ingrids Mutter war Russin, eine tüchtige Frau, aber ohne Ausbildung. Nach dem Tod ihres Mannes hat sie Kleider für die Bergarbeiter genäht, um sich zusätzlich ein Auskommen zu verschaffen, aber viel bieten konnte sie ihrer Tochter in dieser Situation natürlich nicht, schon gar nicht als gebürtige Russin im norwegischen Longyearbyen. Damals herrschte noch der Kalte Krieg. Jedenfalls hat sie einen Minenarbeiter aus Barentsburg, der russischen Siedlung auf Spitzbergen, kennengelernt und ihn geheiratet. Da haben sie also ein paar Jahre in Barentsburg gelebt. In den folgenden Jahren hat sich ihr neuer Mann systematisch zu Tode gesoffen, dann kam das Ende des Kalten Krieges, und Ingrid und ihre Mutter gingen zurück nach Longyearbyen, wo sie zunächst bei Ingrids Onkel unterkamen, dem Bruder von Ingrids verstorbenem Vater, ein sehr großzügiger Mann. Später konnten wir Ingrids Mutter überzeugen, das Mädchen auf ein Internat nach Oslo zu schicken. Ich sagte ihr, ich würde jene Kosten übernehmen, die sie nicht selbst aufbringen könne, vor allem natürlich für Flüge, damit sie sich besuchen konnten. Anfangs wollte sie Ingrid nicht gehen lassen, obwohl sie natürlich das Potenzial ihrer Tochter erkannt hatte. Ingrid war schon als Kind intelligent und extrem zielstrebig. Schließlich ließ sie Ingrid doch gehen. Ein paar Jahre später starb die Mutter an Methanolvergiftung; sie hatte irgendein selbst gepanschtes Zeug getrunken. Danach habe ich Ingrid während ihres Studiums finanziell unter die Arme gegriffen. Und weißt du was?« Fredrik lehnte sich vor. »Ich habe Ingrid nie darum gebeten, aber in den letzten Jahren hat sie mir
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